Flimm: Aus einer Berliner Bude nach Wien

Jürgen Flimm inszeniert an der Wiener Staatsoper "La clemenza di Tito". Im Interview bricht er eine Lanze für Mozarts Oper und lobt das Salzburg-Programm.

Von Salzburg nach Berlin und als Gast nach Wien: Jürgen Flimm will dennoch nicht durch die Weltgeschichte gondeln.

KURIER: Herr Flimm, Sie inszenieren erstmals in Ihrer Karriere Mozarts "La clemenza di Tito". Was ist Ihr zentraler Interpretationsansatz?
Jürgen Flimm:
Mich interessiert natürlich zuallererst die Figur des Tito und die Frage, ob er wirklich so gnädig ist. Da muss man hinter die Fassade und tief in die Figuren hineinschauen. Man darf ja nicht vergessen, dass Mozart da ein sehr fein gewobenes Beziehungsgeflecht geschaffen hat. So gut, wie es auf den ersten Blick scheint, ist Titus nicht.

Das heißt, Sie kratzen am Lack dieser Figur?
Ja. Mit Michael Schade habe ich einen grandiosen Titus. Wir sind uns in allen Dingen einig, was diesen Charakter betrifft. Michael hat nicht nur eine tolle Stimme, er ist auch ein fantastischer Gestalter. Das gilt übrigens für die gesamte Besetzung. Wenn man mit diesen Sängern zu tun hat, dann macht die Arbeit so richtig Freude.

"La clemenza di Tito" gilt gemeinhin nicht als Mozarts bestes Werk ...
Gut, an eine "Nozze di Figaro" oder einen "Don Giovanni" reicht "Clemenza" nicht heran. Das geht auch gar nicht. Denn diese beiden Opern zählen zum Besten, was jemals geschaffen wurde. Aber "Titus" hat seinen Reiz. Wir dürfen nicht vergessen, dass "Titus" ein Auftragswerk anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen war. Also auch eine Art Propagandawerk. Aber Mozart hat einige wunderbare, psychologisch interessante Charaktere geschaffen. Dieses ganze Geflecht rund um Liebe, Einsamkeit, Verrat und Hass kann schon einiges.

Wie modern wird Ihre Inszenierung?
So, dass das Publikum von heute die Geschichte nachvollziehen kann ...

Wird es nach dem "Titus" weitere Arbeiten von Ihnen an der Wiener Staatsoper geben?
Geplant ist nichts. Denn ich habe ja nebenbei noch in Berlin so eine kleine Bude (die Berliner Staatsoper unter den Linden, Anm.) zu leiten. Da kann man nicht ständig in der Weltgeschichte herumgondeln.

In Berlin bespielen Sie im Moment das Schillertheater, weil die Staatsoper unter den Linden restauriert wird. Wie geht es Ihnen da finanziell?
Das Schillertheater als Ausweichquartier ist eine tolle Sache. Und finanziell geht es uns gut. In Berlin spart man Kunst nicht kaputt. Klaus Wowereit ist echt ein toller Bürgermeister, der auf die Kunst setzt und weiß, wie wichtig das ist. Allein, dass wir die Staatsoper um 230 Millionen sanieren dürfen, ist großartig. Das haben wir Wowereit zu verdanken. Berlin ist gar nicht so pleite, wie man immer denkt. Zumindest die Kultur wird hier hochgehalten. Ich bin so gern in Berlin, auch weil ich mit Chefdirigent Daniel Barenboim einen idealen Partner habe. Wir liegen auf einer Wellenlänge.

Was sagen Sie als ehemaliger Intendant der Salzburger Festspiele zum Programm Ihres Nach-Nachfolgers Alexander Pereira?
Das ist einfach klasse. Wenn man genau hinschaut, muss man zugeben, dass die Konzerte auch programmatisch alle top sind. Und die Opern sind so besetzt, dass sie Salzburg zur Ehre gereichen. Denn bitte was ist daran verwerflich, dass eine Anna Netrebko und ein Piotr Beczala in "La Boheme" singen? So was freut die Opernfans doch. Die Moderne hat Pereira mit Zimmermanns "Soldaten" gut abgedeckt. Ich finde, der Spielplan ist eine gute ausgewogene Mischung.

Werden Sie die Festspiele besuchen?
Nein. Ich werde mich im Vorfeld in die Proben setzen, und wenn die Festspiele beginnen, bin ich weg. Ich habe auch während meiner Intendanz in Salzburg am meisten die Probenzeit genossen. Wie die Künstler da alle gekommen sind und wie da etwas entstanden ist – das hat mich immer sehr glücklich gemacht. Ab der offiziellen Eröffnung war Salzburg für mich schon fast vorbei.

"La clemenza di Tito": Daten, Fakten und Besetzung

Jürgen Flimm wurde 1941 in Gießen geboren und war Intendant u. a. in Köln, Hamburg, bei der Ruhrtriennale und den Salzburger Festspielen. Seit 2010 leitet er die Berliner Staatsoper unter den Linden (bis 2015).

Werk: Mozarts "La clemenza di Tito" wurde 1791 in Prag uraufgeführt. Es geht um den römischen Kaiser Titus, auf den aus diversen Gründen ein Anschlag geplant wird. Am Ende verzeiht Titus den Verschwörern.

Produktion: Regie: Jürgen Flimm. Bühne: George Tsypin. Dirigent: Louis Langrée. Es singen: Michael Schade (Titus), Elina Garanča (Sesto), Juliane Banse, Chen Reiss, Serena Malfi, Adam Plachetka. Premiere: 17. Mai.

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