Doch nicht nur für seine Hauptdarstellerinnen, sondern auch für Kore-eda selbst, der letztes Jahr mit „Shoplifters“ die Goldene Palme in Cannes gewonnen hatte, waren die Dreharbeiten eine persönliche Premiere: Erstmals drehte er außerhalb seiner Heimat Japan in einem fremdsprachigen Land. Und man muss es leider sagen: „La Vérité – The Truth“ reicht nicht an die Brillanz und die Präzision von Kore-edas japanischen Gesellschaftsporträts heran.
Catherine Deneuve spielt eine alternde Schauspiel-Diva namens Fabienne: Sie hat gerade ihre Memoiren veröffentlicht und fällt ihrer Umgebung gerne mit ihren Allüren auf die Nerven. Die einzige Tochter Lumir (Binoche) ist mit ihrem Ehemann – immer unterhaltsam: Ethan Hawke – und ihrer Tochter aus New York angereist. Vorgeblich ist sie gekommen, um der Mutter zum neuen Buch zu gratulieren, in Wahrheit aber hegt sie schon lange einen tiefen Groll gegen die Alte. Bei den Familienessen brechen alte Wunden auf, die Tonlage verschärft sich.
Kore-eda changiert die Stimmung seiner Mutter-Tochter-Studie zwischen Sittenkomödie und Psychodrama, doch irgendwie will ihm keine der beiden Gangarten so recht gelingen. Am witzigsten ist Catherine Deneuve, wenn sie ihr berühmtes Schnoferl zieht und ihre Umfeld mit leicht pikiertem Blick mustert. Binoche bemüht sich redlich, das komplizierte Verhältnis zur Mutter mit nötigem Drama zu beschweren, der Konflikt bewegt sich trotzdem am Rande des Vordergründigen.
Immerhin lebt ein Gutteil der Komik von „La Vérité“ auch davon, dass man beim Zusehen geneigt ist, die „echte“ Deneuve mit ihrer Filmrolle zu vergleichen: Ob sie wohl im wirklichen Leben auch ihre Angestellten mit der richtigen Temperatur des Teewassers terrorisiert? Den Fahrer ihres Wagens anpfaucht? Ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Tochter hat?
„Das bin nicht ich“, stellte Catherine Deneuve dann auch gleich bei der Pressekonferenz klar, um erst gar keine falschen Gedanken aufkommen zu lassen.
Neben dem Hauptprogramm wurde auch die renommierte Nebenschiene Orizzonti eröffnet. Die junge deutsche Regisseurin Katrin Gebbe, deren Regiedebüt „Tore tanzt“ für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, legte nun mit einem entlegenen Mutter-Kind-Beziehungsdrama nach. In „Pelikanblut“ – allein der Titel klingt eigenartig – spielt Nina Hoss die Besitzerin einer Pferdekoppel. Sie ist alleinstehend und hat eine Tochter adoptiert. Ein zweites Mädchen wird aufgenommen – doch das neue Kind verhält sich gewalttätig. Oder ist es gar von bösen Geistern besessen?
Gebbe unterfüttert ihr schräges Psychodrama mit Vodoo-Zauber und Horror-Elementen; sie erzeugt damit eine durchgehend unangenehme Stimmung, die einen trotzdem nicht loslässt. Kein Sehvergnügen, aber eines ist Barbera an seinem ersten Festivaltag gelungen: Er hat ihn ganz in das Zeichen von Mütter und Töchter gestellt.
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