Filmwunder aus den Sümpfen des Südens

Filmwunder aus den Sümpfen des Südens
Sein Film "Beasts of the Southern Wild“ wurde sogar von Obama empfohlen. Benh Zeitlin im Interview.

Präsident Obama höchst persönlich empfahl „Beasts of the Southern Wild“ – und seitdem haben ihn rund elf Millionen Amerikaner gesehen. Schon davor hatte der Film wichtige internationale Preise abgeräumt: Er wurde als bester Film des Sundance Filmfestivals ausgezeichnet und erhielt in Cannes die Goldene Kamera. Seitdem wird das Langfilmdebüt von Jungregisseur Benh Zeitlin als kleines Filmwunder herumgereicht (Kinostart: Freitag).

Tatsächlich findet Zeitlin für seine apokalyptische Geschichte eine unglaubliche Bildsprache. Wie in einem explodierenden, surrealen Gedicht erzählt er aus der Sicht eines kleinen Mädchens vom Leben der Sumpfbewohner im Süden Louisianas, das ständig von Hochwasserkatastrophen bedroht ist.
Hurrikan Katrina Natürlich seien Hurrikan Katrina und seine Verwüstungen ein Impuls für den Film gewesen, erklärt der aus New York stammende Benh Zeitlin im KURIER-Interview: „Mich hat einfach interessiert, was es bedeutet, an einem Ort zu leben, der jederzeit von der Landkarte gelöscht werden kann. Ich wollte einen Film über Menschen machen, die jede Sekunde alles verlieren können.“

Filmwunder aus den Sümpfen des Südens

Dabei entfaltet Zeitlin die Faszination seiner oft rauschhaften Untergangsbilder mithilfe eines magischen Realismus, der sich aus der Sicht eines Mädchens ergibt: „Kinder erleben die Wirklichkeit intensiver als Erwachsene, flechten eigene Vorstellungen ein und schaffen sich eine Welt, in der Realität und Fantasie ineinanderfließen,“ sagt Zeitlin.

So wandern in der kindlichen Fantasie riesige, mythische Auerochsen, die aussehen, als wären sie gerade aus der Eiszeit aufgetaut worden, durch die verwüstete Marschlandschaft und verstören das Mädchen.

„Beasts of the Southern Wild“ handle nicht nur davon, was es bedeute ein guter Mensch zu sein, sondern auch davon, „was es bedeutet, ein gutes Tier zu sein“, so der Regisseur. Denn wenn es ums nackte Überleben gehe, „dann werden Menschen und Tiere einfach nur zu Kreaturen, die in einer Landschaft überleben wollen, die verschwindet.“

Gerade das macht die Unheimlichkeit aus, die aus Zeitlins archaischen Bildern strömt. Der Auerochse ist nicht nur Fantasiegebilde eines Kindes: „Der Auerochse wird auch zu einer Art apokalyptischem Vorboten, der globale Klimaveränderungen symbolisiert, wie das Abschmelzen der Pole und
das Ansteigen der Meere.“

Hängebauchschwein

Benh Zeitlin ist übrigens Self-Made-Regisseur. Er ging auf keine Filmschule, sondern ließ sich lieber in Prag von den Arbeiten des tschechischen Animationsfilmers Jan Švankmajer inspirieren.

Ungewöhnlich sind auch seine Arbeitsmethoden: Er arbeitet mit einem Künstlerkollektiv zusammen, das sich „Court 13“ nennt und seine Kreativität aus verschiedenen Künsten speist. Und schließlich lebt Zeitlin auch noch mit einem Haufen Tiere in New Orleans zusammen – unter ihnen ein riesiges vietnamesisches Hängebauchschwein. Für „Beasts of the Southern Wild“ wurde es als Auerochse verkleidet.

Das ausführliche Interview mit Benh Zeitlin lesen Sie im Folgenden.

KURIER: Sie sind geborener New Yorker. Woher kommt Ihre große Faszination für New Orleans und South Louisiana?
 
Benh Zeitlin: Das hat schon ganz früh begonnen, als mich meine Eltern als kleines Kind das erste mal in diese Stadt mitnahmen. Seit damals wollte ich dort leben. Ich habe dann auch einen Kurzfilm dort gemacht und im Zuge dessen eine Community von Künstlern und Filmemachern kennen gelernt. Für mich ist New Orleans eine Art Utopia.
 
New Orleans mit Utopia zu verbinden, ist interessant, weil einem sofort die Verwüstungen von Wirbelsturm Katrina einfallen. Hat Sie das beeinflusst?
Ich wollte nie einen Film über die Vergangenheit machen, sondern über die Zukunft. Seit Katrina gibt es dort immer wieder Wirbelstürme, die sich allerdings nicht mehr ganz so katastrophal auswirkten und deshalb weniger mediale Aufmerksamkeit bekamen. Trotzdem haben sie einen unglaublichen Effekt auf die Landschaft und das Leben der Menschen dort. Mich hat einfach interessiert, was es bedeutet, an einem Ort zu leben, der jederzeit durch einen weiteren Hurrikan von der Landkarte gelöscht werden kann. Ich wollte einen Film über Menschen machen, die trotzdem dort leben, obwohl sie jede Sekunde alles verlieren können und dagegen kämpfen. So gesehen war Katrina sicher einer, aber nicht der einzige Impulsgeber für meinen Film.
 
Sie erzählen Ihren Film aus der Sicht eines kleinen, afro-amerikanischen Mädchens namens Hushpuppy. Was hat Sie an dieser Perspektive interessiert?
Zum einen war es ursprünglich gar nicht sicher, welche Hautfarbe unsere Hauptperson haben würde, weil es in Louisiana eine so große Bandbreite an unterschiedlichen Hautfarben gibt. Aber beim Casting war Quvenzhané Wallis, die das Kind spielt, einfach die beste. Aber es ging mir nicht um ein politisches Statement zum Thema Rasse. Die Kinderperspektive war mir auch wichtig, weil sie den Zugang zu einer magischen Welt eröffnet. Kinder erleben die Wirklichkeit intensiver als Erwachsene, flechten ihre eigenen Vorstellungen ein und schaffen sich eine Welt, in der Realität und Fantasie einander fließen. Das war für meinen Film sehr wichtig.
 
Ihr Film fühlt sich oft dokumentarisch an: Man sieht den Einheimischen dabei zu, wie sie ekstatische Partys feiern, Feuerwerke zünden, sich betrinken...
Ich habe diese Szenen in einer kleinen, ländlichen Fischergemeinde gedreht, die zwei Stunden von New Orleans entfernt liegt. Ich habe selbst acht Monate dort unten gelebt, mich mit den Menschen dort angefreundet und mich mit ihrer Kultur vertraut gemacht. Das alles findet sich im Film. Es sollte sehr dokumentarisch aussehen und sich improvisiert anfühlen, war aber in Wahrheit bis ins letzte Detail geplant.
 
Ihr Film heißt „The Beasts of the Southern Wild“. Wer oder was genau sind diese „Beasts“?
Für mich erzählt mein Film nicht nur davon, was es bedeutet, ein „guter“ Mensch zu sein. Viel wichtiger ist mir die Frage, was es bedeutet, ein gutes Tier zu sein. Es geht um einen Moment in der Geschichte der Menschen, in dem viele Dinge, die uns von der Natur trennen, wegfallen. Ab diesem Zeitpunkt sind Menschen und Tiere einfach nur Kreaturen, die versuchen, zu überleben mit all ihren Ressourcen: mit ihren Händen, Körpern und ihrer Intelligenz. Das betrifft den mythischen Auerochsen genauso wie die Menschen. Es geht dann nur noch um die existentielle Frage, wie man in einer Landschaft überlebt, die verschwindet.
 
Apropos Auerochsen: die Riesentiere sehen aus als wären sie aus der Eiszeit aufgetaut. Geht es Ihnen mit diesem Bild auch um globale Klimaveränderung?
In erster Linie entspringen die Auerochsen Hushpuppys kindlicher Vorstellungswelt. Für sie repräsentieren diese vorzeitlichen Tiere eine Spezies, die vom Aussterben bedroht ist und ums Überleben kämpft. Nachdem das kleine Mädchen an einem Ort lebt, der vom Versinken bedroht ist, identifiziert sich mit diesen Wesen. Gleichzeitig wird der Auerochse auch zu einer Art apokalyptischer Vorbote, der globale Klimaveränderungen symbolisiert, wie beispielsweise das Abschmelzen der Pole und das Ansteigen der Meere.
 
Sie rücken mit der Kamera oft ganz nahe an Dinge heran, sodass man das Gefühl hat, man könnte sie angreifen.
Ich liebe Texturen und es ist mir ganz wichtig, wie sich etwas anfühlt – der Dreck, der Schlamm, die Eingeweide von toten Tieren, die Haut von Fischen. Das sind auch meine stärksten Kindheitserinnerungen – daran, wie sich Dinge angefühlt, wie sie gerochen haben oder wie sie aus größter Nähe aussahen. Wenn man ein Kind ist, hat man nicht das große Bild im Auge, sondern es sind die kleinen Details, die einen beschäftigen, wie etwa die klebrige Flüssigkeit, die einem gerade auf den Schuh tropft.
 
Ihr Film sieht manchmal aus wie ein explodierendes, surreales Gedicht. Hat das damit zu tun, dass Sie in Prag im Umkreis des Animationsfilmemachers Jan Švankmajer studiert haben?
Ich liebe die Filme von Jan Švankmajer. Als ich in Prag Film studierte, habe ich mit Leuten aus seinem Umfeld zusammen gearbeitet und einen kurzen Animationsfilm gemacht. Mich hat vor allem dieser surrealistische Animationsstil interessiert, wo man Objekte wie Fleisch und Knochen in die Arbeit mit einbezieht. Das war ein großer Einfluss für mich. Aber auch andere osteuropäische Filmemacher wie Emir Kusturica oder frühe Milos Foreman-Filme wie „The Firemen’s Ball“ oder „Einer flog über das Kuckucksnest“. Ich liebe auch Fellini, Bob Fosse und frühe amerikanische Komödien. Kurz gesagt, es gibt eine große Bandbreite an Filmen, die mich beeinflusst haben.
 
Sie arbeiten mit einem Künstlerkollektiv zusammen, das sich Court 13 nennt. Wie sieht diese Kollaboration aus?
Wir sind eine Gruppe von Künstlern, die nicht nur aus Filmemachern, sondern auch Malern oder Bildhauer besteht. Dadurch wird jedes einzelne Detail des Film zu einem Kunstwerk in sich. Nicht nur meine eigene Kreativität, sondern auch die vieler anderer fließt ein. Dadurch bekommt der Film eine Kühnheit und eine Leidenschaft und eine Persönlichkeit, die von ganz verschiedenen Künstlern stammt.
 
Es heißt, Sie leben in New Orleans mit wilden Tieren zusammen. Stimmt das?
Ja, ich habe einen Haufen wilder Freunde (lacht). Und außerdem leben in meinem Garten auch noch vierzig weitere Tiere: Ein Rudel Hunde, Katzen, Hühner, Truthähne, Enten und ein riesiges vietnamesisches Hängebauchschwein.

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