Filmporträt über Emile Zuckerkandl: „Das Vergessen geht sehr schnell“

Emile Zuckerkandl mit seiner Mutter Gertrude Zuckerkandl-Stekel: „Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen“
Der Filmemacher Rainer Frimmel im Gespräch über seinen Großonkel Emile Zuckerkandl und die Doku "Emile - Erinnerungen eines Vertriebenen"

Rainer Frimmel freut sich. Gerade hat er erfahren, dass sein Film „Vera“, den er mit seiner Partnerin Tizza Covi gedreht hat, als österreichischer Beitrag für den Auslandsoscar nominiert wurde: „Das ist eine große Überraschung und Freude“, strahlt der 52-jährige Wiener Filmemacher: „Der Herbst geht jetzt in eine andere Richtung als geplant.“ Gemeinsam mit Covi und der Protagonistin Vera Gemma, Tochter des legendären Italo-Filmstars Giuliano Gemma, wird er in den USA „kampagnisieren“ – und „Vera“ dem amerikanischen Publikum vorstellen.

Aber auch in Wien ist derzeit ein Film von Rainer Frimmel zu sehen: In „Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen“ (im Metro Kinokulturhaus) befragt der Regisseur seinen emigrierten Großonkel Emile Zuckerkandl zu dessen Erinnerungen an seine Jugend in Wien und die Vertreibung durch die Nazis.

Filmporträt über Emile Zuckerkandl:  „Das Vergessen geht  sehr schnell“

 Enge Zusammenarbeit: ROMY-Preisträger Rainer Frimmel und Tizza Covi 

Emile Zuckerkandl ist der Enkel von Berta Zuckerkandl-Szeps. Die Schriftstellerin und Journalistin war bekannt für ihren Salon, in dem die künstlerische und intellektuelle Elite Wiens – von Albert Einstein bis Stefan Zweig – verkehrte. Mit seiner Großmutter verband Emile Zuckerkandl eine innige Beziehung. Unter ihrer Aufsicht legte er als kleiner Bub ein Autogrammbuch an, in dem sich prominenten Gäste verewigten.

Emiles behütete Kindheit in einer Villa auf dem Gelände des Sanatoriums Purkersdorf endete abrupt mit Hitlers Einmarsch und zwang die jüdische Familie zu einer abenteuerlichen Flucht aus Europa.

„Bei uns zu Hause war immer von Onkel Emile in Amerika die Rede“, erzählt Rainer Frimmel, dessen Vater zu Emile ein enges Verhältnis pflegte: „Ich habe mich spät entschlossen, ihn zu besuchen, was mir heute leidtut. Als es dazu kam, hat er sich wahnsinnig gefreut und mich mit offenen Armen empfangen.“

Frimmel stattete Emile Zuckerkandl, einem pensionierten Evolutionsbiologen mit Wohnsitz in Palo Alto, ab 2010 bis zu dessen Tod 2012 mehrere Besuche ab. Danach blieb das gedrehte Material liegen, ehe es auf Betreiben von Tizza Covi, die den akkuraten Schnitt übernahm, zu seiner jetzigen Form fand.

Filmporträt über Emile Zuckerkandl:  „Das Vergessen geht  sehr schnell“

Emile Zuckerkandl in Rainer Frimmels Filmporträt "Emile - Erinnerungen eines Vertriebenen"

Sprung aus dem Fenster

Im Gespräch mit seinem Großneffen lässt Emile Zuckerkandl in wunderschönem Altwienerisch seine Erinnerungen aufleben – an Berta Zuckerkandl, die ein „seelensguter Mensch“ war oder an ihren Lieblingsgast Egon Friedell, ein „unglaublich witziger Mann“, der aber seine „Sünde, die Nazis unterschätzt zu haben“, mit einem Sprung aus dem Fenster „abbüßte“: „Es ist faszinierend, Menschen kennenzulernen, die noch Kontakt zu längst verstorbenen Persönlichkeiten hatten“, meint Frimmel: „Natürlich geht es auch darum, Zeitzeugenschaft festzuhalten und einen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten. Das Vergessen geht sehr schnell.“

Im Gespräch mit Frimmel erinnert sich Emile Zuckerkandl daran, wie er mit seiner Mutter am Hafen von Bayonne im Chaos stand und nicht wusste, wie er wegkommen sollte. Plötzlich entschloss sich ein französischer Kapitän spontan dazu, entgegen seine Befehle 531 Menschen an Bord zu nehmen und nach Lissabon zu bringen: „Beim Verabschieden salutierten der Kapitän und seine Mannschaft dieser armen Masse an Flüchtlingen, die spontan die ,Marseillaise‘ anstimmten. Das sind so Momente, die mich am meisten berührten“, erzählt Frimmel.

Verbittert war Emile Zuckerkandl am Ende seines Lebens nicht, „aber er konnte auch nicht verzeihen“: Zu seinen „großen, wunden Punkten“ zählte auch der Umstand, dass er die „Mohnwiese“, ein Bild von Gustav Klimt, das im elterlichen Salon hing, nicht mitnehmen durfte.

Gezwungenermaßen verkaufte Zuckerkandl das Bild weit unter seinem Wert an Rudolf Leopold, der es umgehend gegen zwei Schiele-Gemälde eintauschte: „Es war ungut und dubios, wie das damals gelaufen ist“, sagt Rainer Frimmel: „Seitdem hat sich im Umgang mit Restitution aber viel verändert. Zudem sind Unterlagen im Nachlass aufgetaucht, die ein neues Licht auf den Fall werfen.“

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