Filmkritiken der Woche: Harlem im Halbschatten und deutsches Liebes(un)glück
Farewell, Philip Marlowe. Vorbei die Zeiten, in denen ein Humphrey Bogart als zynischer Privatdetektiv mit Zigarette im Mundwinkel und coolen Sprüchen auf der Lippe die Ladys beeindrucken konnte.
Der Private Eye in Jonathan Lethems Buchverfilmung „Motherless Brooklyn“ ist nicht zynisch, sondern verletzlich. Das Wort Coolness kann er nicht einmal buchstabieren. In der Liebe hatte er bisher auch kein Glück. Er schafft es nicht einmal, einer Frau an der Bar Feuer zu geben, ohne sich dabei endlos zu blamieren.
Motherless Brooklyn
Eigentlich heißt der Privatdetektiv Lionel Essrog, aber man hat ihm einige Spitznamen aufs Auge gedrückt. Sein bester Freund nennt ihn „Motherless Brooklyn“ – weil er ein New Yorker Waisenknabe ist. Die weniger Freundlichen rufen ihn „Freakshow“.
„Freakshow“ deswegen, weil Essrog an einer Art Tourette-Syndrom leidet. Während er so tut, als müsse er niesen, schnäuzt er mild-obszöne Sätze wie „Titts on a Tuesday“ in seine Armbeuge. Zudem leidet er unter Ordnungszwang und betatscht jeden in seiner Reichweite. Danach entschuldigt er sich manisch für seine Übergriffe.
Fast zwanzig Jahre hat Edward Norton darum gekämpft, Jonathan Lethems preisgekrönten Roman von 1999 auf die Leinwand zu bringen. Das Warten hat sich gelohnt, denn es ist ihm – mit sich selbst als Lionel Essrog in der Hauptrolle – triumphal gelungen.
Ein smarter Schachzug vonseiten Nortons bestand darin, Lethems Krimi aus der Brooklyner Unterwelt der 1990er zurück in die 50er-Jahre zu verlegen. Ein trefflicher Vorwand, um eine politisch brisante Story in die charismatischen Bilder eines melancholischen und wunderbar formschönen Noir-Thrillers zu gießen.
In matt-metallischen, Farben entwirft Norton eine stimmungsvolle Welt im kriminellen Halbschatten und umspielt sie mit einem fantastischen Jazz-Score. Der berühmte Jazz-Musiker Wynton Marsalis kuratierte die Tonspur mit Klassikern wie Charlie Parker und Charles Mingus, Thom Yorke von Radiohead betupfte die Auswahl mit einem zeitgenössischen Originalsong.
Femme fatale
Das Vergnügen der Detektivgeschichten liegt unter anderem darin, dass der Privatschnüffler zu den verborgensten Orten aller Gesellschaftsschichten vordringen kann – von verwegenen, dunklen Jazz-Bars in Harlem bis hin zum sonnenhellen Architekturbüro eines skrupellosen Stadtplaners.
Der furiose Alec Baldwin als Stadtentwickler Moses Randolph kennt keine Beißhemmung, wenn es darum geht, Slumviertel – vorzugsweise bewohnt von Schwarzen – niederzuwalzen und an deren Stelle luftige Parks anzupflanzen. Was dem oberflächlichen Beobachter wie menschenfreundliches Urban planning vorkommen mag, entpuppt sich als zähnefletschender Rassismus. Wer darin Querverweise zu der Politik von Trump sieht, liegt absolut richtig.
Brillant besetzt auch Willem Defoe, der mit seinem verlotterten Bart ein bisschen an seine Rolle als Van Gogh erinnert und einen undurchsichtigen Part in einer Politintrige mit Todesfolgen übernimmt.
Aber was wäre ein guter Noir ohne eine Femme fatale? Nortons hinreißende First Lady heißt Laura Rose und wird von der Britin Gugu Mbatha-Raw gespielt – allerdings nicht als tödliche Sexbombe, sondern als couragierte Bürgerrechtsaktivistin.
INFO: USA 2019. 145 Min. Von und mit Edward Norton. Mit Bruce Willis, Alec Baldwin.
Filmkritik zu "Mein Ende. Dein Anfang": Verstörend vertrauter Fremder
„Nora“, antwortet die hübsche Zufallsbekanntschaft auf die Frage eines jungen Mannes nach ihrem Namen. „Und ich umgekehrt“, stellt er sich vor. Nora und Aron lernen einander in einer U-Bahn-Station kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Mein Ende Dein Anfang
Das Namensspiel mit Nora und Aron ist bereits ein Hinweis darauf, dass die junge Münchner Autodidaktin Mariko Minoguchi ihren Debütfilm in Form eines Palindroms erzählt. Sie beschreibt darin Liebesglück als Verkettung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Als das frisch verliebte Paar in einen Banküberfall gerät, ändert sich mit einem Schlag alles. Aron wird angeschossen und stirbt in Noras Armen. Verzweifelt versucht sie, ihre Gefühle zu betäuben. In den Armen von Natan, mit dem sie eine Nacht verbringt. Obwohl er ein völlig Fremder ist, hat Nora das seltsame Gefühl, ihn zu kennen. Der Zufall – oder das Schicksal? – führt dazu, dass sich ihre Wege immer öfter kreuzen.
Noch ahnt Nora nicht, was sie mit Natan wirklich verbindet. In Rückblenden werden wir Zeugen vom Ende und Anfang einer Liebe. Nur: Welche Liebe endet und welche ist der Neubeginn?
Um die Handlung in die Form eines Palindroms zu zwingen, musste die Regisseurin ihren Film gar (zu?) oft hin- und zurückbewegen. Er wirkt dadurch bisweilen konstruiert. Als Relativitätstheorie zum Thema Liebe hält der Film – weil das Kino immer ein schöner Raum ist für Was-wäre-wenn-Szenarien.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: D 2019. 111 Min. Von Mariko Minoguchi. Mit Saskia Rosendahl, Edin Hasanovic.
Filmkritik zu "Au Poste!": Absurdes Polizeiverhör mit einäugigem Beamten
Der Franzose Quentin Dupieux verfolgt mehrere Karrieren: Den einen ist er als elektronische Musiker Mr Oizo („Flat Beat“), den anderen als Regisseur absurder Komödien bekannt. Im besten Fall als beides. Nun hat der DJ-Regisseur erneut mit einem Film-Scherz zugeschlagen, der in knackigen 73 Minuten flott das Zwerchfell massiert.
Ein gewisser Fugain hat eine Leiche gefunden und wird auf der Polizeistation als potenzieller Tatverdächtiger befragt. Das Verhör zieht sich. Ein Polizist namens Captain Buron – immer lustig: Benoît Poelvoorde – lässt nicht locker und hackt seinen Bericht mit zwei Fingern in die Schreibmaschine. Als er kurz das Zimmer verlassen muss, sagt er zu seinem einäugigen Polizei-Kollegen: „Behalte den Herrn im Auge.“
Danach läuft einiges aus dem Ruder. Fugains Erinnerung an den Fund der Leiche vermischt sich mit seltsamen Ereignissen. Zudem ist er so hungrig, dass er eine Auster samt Schale knabbert wie Kartoffelchips. Aber auch Polizist Buron erweist sich als nicht ganz dicht.
INFO: F 2018. 73 Min. Von Quentin Dupieux. Mit Benoît Poelvoorde, Grégoire Ludig.
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