Filmkritik zu "Waldheims Walzer": Die Rache des Archivs

Kurt Waldheim wird vor seiner ersten Rede als Präsident im ORF noch einmal abgestaubt
Ruth Beckermanns packend pointierte Waldheim-Doku ist Österreichs Einreichung für den Auslandsoscar.

Nein, Kurt Waldheim war kein Kriegsverbrecher. Dafür gab es keine Hinweise, wie eine Historikerkommission bestätigen konnte. Kurt Waldheim war wohl auch kein Nazi, wie Israel Singer vom Jüdischen Weltkongress provokant in den Raum gestellt hatte. Kurt Waldheim war, wie er selbst formulierte, einer „jener anständigen Österreicher“, die während des Krieges „nur ihre Pflicht getan“ hatten. Und danach alles vergaßen.

Entgegen erdrückender Beweise hatte Waldheim hartnäckig geleugnet, von Nazi-Gräuel wie Massendeportationen gewusst zu haben. Als der Ex-UNO-Generalsekretär 1986 zum Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten antrat, wurde diese Erinnerungslücke zum umkämpften Politikum.

Es ist die Rache des Archivs, die Ruth Beckermann in ihrer beflügelten Doku entfesselt und zu einem treffsicheren Kompilationsfilm verdichtet. ORF-Mitschnitte, aber auch Aufnahmen aus internationalen TV-Archiven, verschmilzt Beckermann mit ihren – lange vor der Handy-Zeit – aufgenommenen, weichen Videobildern von Kundgebungen und öffentlichen Auseinandersetzungen.

Home Story

„Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“: Im Zuge einer „Home Story“ von 1972 besucht ein Fernsehteam das Wohnhaus in New York, wo Waldheim mit seiner Familie als Generalsekretär der UNO residiert. Mit schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit führt Elisabeth Waldheim durch prunkvolle Repräsentationsräume, durchdrungen vom Anspruch des eigenen Klassenstatus. Bürgerliche Kälte umweht auch ihren Mann: In Israel besucht Waldheim eine Gedenkstätte für Holocaust-Opfer. Er ist der Einzige, der sich weigert, seinen Kopf zu bedecken.

Mit selbstgerechter Empörung weist Waldheim belastende Informationen als Verleumdung zurück (heute hätte er wohl „Fake News“ gesagt) und haut auch schon mal wütend auf den Tisch.

Den emotionalen, beinahe schon melodramatischen Kern von Beckermanns Doku liefert aber sein Sohn. In einer der aufregendsten Momente des Films zeigt Beckermann nie gesendetes Material von der Befragung Gerhard Waldheims während eines US-Hearings: Mit gesenktem Haupt versucht er, seinen Vater zu verteidigen, dessen Angaben sich als falsch heraus gestellt haben.

Wie in einem Thriller zählt Beckermann die Tage bis zur Stichwahl zum Präsidenten herunter. Der politische Tonfall verschärft sich. ÖVP-Politiker schüren bei der Verteidigung ihres Kandidaten gezielt antisemitische Ressentiments. Michael Graff wettert gegen die „ehrlosen Gesellen des jüdischen Weltkongresses“ – und bei einer Kundgebung beschimpft ein Mann einen Waldheim-Gegner als „jüdische Drecksau“.

Konservative bürgerliche Eliten und polternder Pöbel als kommunizierende Gefäße: In der Montage aktualisiert Beckermann ihre historische Bestandsaufnahme für unsere Gegenwart und deren Rechtspopulismus.

„Waldheims Walzer“ ist übrigens auch Österreichs Einreichung für den Auslandsoscar. Gut vorstellbar, dass gerade die Amerikaner viel damit anfangen können. Denn Beckermanns Found-Footage-Doku ist nicht nur brisant politisch, sondern auch packend, pointiert und immens unterhaltsam.

INFO: Ö 2018. 94 Min. Von Ruth Beckermann. Mit Kurt, Elisabeth, Gerhard Waldheim.

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