Filmkritik zu "The Souvenir": Zwischen Punk und Barock
Nun geht es endlich wieder los mit frischen Filmen. Während die großen amerikanischen Blockbuster noch auf sich warten lassen, finden neue, „kleinere“, arthousige Filme ihren Weg in die (teilweise) wiedereröffneten Kinos.
Einer davon ist „The Souvenir“, ein von Martin Scorsese mitproduzierter Film der britischen Regisseurin Joanna Hogg: Seit seiner Premiere auf dem Filmfestival in Sundance schlagen ihm große Wellen cinephiler Begeisterung entgegen.
In dem spröden, autobiografisch inspirierten Porträt einer jungen Filmstudentin, erinnert sich Hoggs an ihre eigenen Jugenderlebnisse im London der frühen 80er Jahre. Doch rekapituliert sie diese einstige Lebenssituation nicht als chronologische Abfolge von Ereignissen, sondern als Durchmischung von Gefühlszuständen und Sinneswahrnehmungen. Fetzen von Punkrock-Songs und Arien erklingen ebenso auf der Tonspur wie literarische Texte, gesprochen zu stillen Landschaftsaufnahmen.
Im Mittelpunkt steht die erste große Liebesbeziehung einer jungen Frau, die sich in London an der Filmschule eingeschrieben hat. Sie heißt Julie, ist unsicher und kaut gerne an ihren Nägeln. Ihre Mutter, die ab und zu in der Wohnung der Tochter vorbeischaut, zieht ihr dann energisch die Hand vom Mund weg. Aber Julie kaut nicht nur Nägel, sie küsst auch gern Händen – besonders die Hand ihres Freundes Anthony. Nägel kauen und Hände küssen werden zu Ausdrucksformen der Hingabe in einer Liebesbeziehung zwischen Glück und Qual.
Anthony, ein undurchsichtiger Dandy, liebt aristokratisches Ambiente, historische Gemälde und Venedig. Sein Gusto für Dekadenz und Stilbruch geht einher mit einer zeittypischen, postmodernen Lust am Genre-Mix, zumal in London, wo sich die Geschmacksvielfalt zwischen Punk und Barock, Bauhaus und Oper ausbreitet.
In Julies gepflegter Wohnung herrscht die gedämpfte Aufbruchsstimmung einer Tochter aus gutem Haus. Im realistischen Licht des britischen Autorenkinos erzählt Joanna Hogg in hellen Bildern von einer gehobenen Gesellschaftsschicht im Zustand dezenter Langeweile.
Geld schnorren
„Warum drehen Sie nicht einen Film über etwas, was mit Ihrer eigenen Erfahrung zu tun hat?“, wird Julie von einem Lehrer an der Filmschule gefragt. Die eigene Erfahrung, so stellt sich heraus, macht sie in der schmerzhaften Beziehung zu einem Mann mit Drogensucht. Bald schon ist sie mehr damit beschäftigt, ihre reiche Mutter um Geld anzuschnorren, als an ihrem Drehbuch zu arbeiten. Apropos Mutter: Die Mutter wird von einer ergrauten Tilda Swinton gespielt, auch im wirklichen Leben die Mutter von Julie (Honor Swinton Byrne).
Durch ihre enge Mutterbeziehung ist Julie noch stark mit der Kindheit verwoben, will sich aber in eine neue Existenz als Filmemacherin losreißen. Der böse Boyfriend erschwert diese Ablösung, stellt ihre Position als Künstlerin infrage, erzwingt aber letztlich auch einen Entwicklungsprozess.
Schwebend erzählt „The Souvenir“ von Abhängigkeiten, Übergängen und Ausbrüchen. Manche Ereignisse treten klarer hervor, andere bleiben suggestiv – wie so oft, wenn es sich um Erinnerungen handelt.
In meiner eigenen Erinnerung arbeitet „The Souvenir“ wundersam unterschwellig weiter, auch wenn er anfänglich keine Begeisterung ausgelöst hat. Aber allein einen Song wie „Stop the Cavalry“ von Jona Lewie wiederzuhören, reißt die Erinnerungslade weit auf. „The Souvenir“ ist übrigens erst der vierte Film von Joanna Hogg und verspricht am Ende: Fortsetzung folgt.
INFO: The Souvenir. GB/USA 2019. 119 Min. Von Joanna Hogg. Mit Honor Swinton Byrne, Tilda Swinton
Filmkritik zu "The High Note": Sehr schmalzig, aber auch sehr schön
Zeitgleich sowohl im Kino, als auch auf VOD (Video on Demand), startet eine sonnig-süße, herzergreifende Komödie aus dem Milieu des amerikanischen Musikbusiness, wo sich Dakota Johnson („Fifty Shades of Grey“) als Assistentin einer legendären Pop-Diva namens Grace Davis abrackert.
„Margaret“, wie Maggie gerne von ihrer strengen Chefin gerufen wird, ist für alles zuständig – von Essen bestellen, über Medikamente besorgen bis hin zu Taxifahrten unternehmen. Dafür, dass sie den ganzen Tag herum kommandiert wird, bleibt sie jedoch erstaunlich guter Laune. Ihr Geheimnis: Sie hat einen großen Traum. Maggie möchte selbst als Produzentin im Musikgeschäft einsteigen und wünscht sich nichts sehnlicher, als den sinkenden Stern von Grace wieder zum Strahlen zu bringen.
Und natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte mit einem Musiker; aber wie die ausgeht, weiß man von der ersten Sekunde an.
Ohnehin glänzt „The High Note“ nicht gerade mit originellen Handlungsvolten. Stattdessen sind es die Details, die entzücken. Allein Dakota Johnson mit ihrer verschleierten Schönheit ist hinreißend genug. Aber auch die Pop-Lady (übrigens gespielt von Tracee Ellis Ross, Tochter von Diana Ross)entwickelt herben Charme.
Anstelle eine handlungsübliche Geschichte à la „Alles über Eva“ zu erzählen, in der eine junge Frau am Sessel einer älteren sägt, entsteht aus dem Hickhack zwischen den beiden doch so etwas wie gegenseitige Wertschätzung. Da kann sich Ice Cube als polternder Manager noch so sehr aufpudeln; irgendwann muss er einsehen, dass er nicht alles besser weiß.
Am Ende wird’s dann ganz arg schmalzig, aber – schluchz – trotzdem schön.
INFO: USA 2020. 113 Min. Von Nisha Ganatra. Mit Dakota Johnson, Kelvin Harrison Jr.
Filmkritik zu "Monsieur Killerstyle": Verliebt in seine Raulederjacke
Der Franzose Quentin Dupieux ist sowohl elektronischer Musiker (Mr. Oizo) als auch Witzbold-Regisseur. Zuletzt unterhielt er seine Fangemeinde mit der irrwitzigen Polizeikomödie „Au Poste!“, nun legt er mit „Monsieur Killerstyle“ ein Schäuflein nach.
Die Hauptrolle spielt eine sandfarbene Raulederjacke mit Fransen. Sie wird von einem Mann mittleren Alters namens George erworben.
George sieht in seiner neuen Jacke aus wie Lex Barker als Old Shatterhand. Er ist begeistert: Entzückt starrt er in den Spiegel und beginnt eine Art Liebesaffäre mit seinem Outfit.
Jean Dujardin, gut aussehender Leading Man aus dem Oscar-Wunder „The Artist“, hat die wohl bizarrste Rolle seiner Karriere übernommen. Im Zwiegespräch mit der Jacke beschließt er, dass niemand mehr außer ihm eine Jacke tragen darf. Mit einer Videokamera in der Hand beginnt er, Menschen ihre Jacken abzuk(n)öpfen.
In Cannes, wo „Monsieur Killerstyle“ Premiere hatte, wurde er umgehend zum Kult-Objekt erklärt. Allein die Tatsache, dass Dujardin die Rolle an der Seite einer Raulederjacke übernahm, empfanden viele schon als köstlichen Witz. Ohne mit der Wimper zu zucken, spielt sich Dujardin durch Dupieux’ kunstvoll in Beige eingefärbte, skurrile Bilder, die sich irgendwo zwischen Psycho, Thriller und Groteske einpendeln. Das Gute an Dupieux’ Filmen ist ihre Länge. Sie sind kurz – und streckenweise auch recht kurzweilig.
INFO: F 2019. 77 Min. Von Quentin Dupieux. Mit Jean Dujardin, Adèle Haenel
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