Filmkritik zu "The Favourite": Duell der Damen
Zehn Oscarnominierungen für „The Favourite“ – so viel einstimmiges Wohlgefallen hätte man dem sardonischen Griechen Yorgos Lanthimos gar nicht zugetraut. Umso mehr, als der „Lobster“-Regisseur gern sein Publikum spaltet, zuletzt mit seiner grausam-komischen Familientragödie „The Killing of a Sacred Deer“.
Doch bei „The Favourite“ herrscht begeisterte Einigkeit, zumal nicht abzusehen war, dass Lanthimos seiner typisch rigiden Arthouse-Ästhetik eine überraschende Wendung ins komische Fach geben könnte. Offensichtlich war es eine gute Entscheidung, den langjährigen Kameramann und Drehbuchautor zu wechseln (das „Favourite“-Skript stammt von Deborah Davis und Tony McNamara) und frischen Wind ins eigene Werk zu blasen.
Tatsächlich bietet „The Favourite“ eine Sittenkomödie der Sonderklasse, witzig, schlagfertig und anzüglich.
Angesiedelt am englischen Hof Anfang des 18. Jahrhunderts, delektiert sich Lanthimos an den schrägen Ritualen einer dekadenten Aristokratie. Überschminkte ältere Herren mit roten Bäckchen und Perücken, deren Locken ihnen bis zu den Hüften baumeln, lassen ihre Lieblingsgänse um die Wette laufen. Die führenden Hofdamen wiederum kühlen ihr Mütchen, indem sie Rebhühner vom Himmel ballern („Let’s kill something!“). Inmitten des lästerlichen Getümmels sitzt weinerlich die fußmarode Königin Anne im Rollstuhl. Gierig schlingt sie fette Torten hinunter und übergibt sich danach in eine Vase. Außerdem lässt sich von ihren Gespielinnen die wunden Beine und gerne auch mehr massieren.
Barock-Parodie
Lanthimos steigert seine süffisante Barock-Parodie, die an den frühen Peter Greenaway erinnert, zur beißenden Gesellschaftssatire. Kameramann Robby Ryan reißt das Auge seines Apparats so weit auf, dass sich die Bilder an den Rändern bizarr verbiegen. Auf der Tonspur kratzt eine Geige quäkende Geräusche, deren Monotonie die Mechanik von Verführung und Ränkespiel befeuern.
Denn Annes Herzdame ist Lady Sarah, eisern und sexy gespielt von der schönen, oscarnominierten Rachel Weisz. Sarah flüstert der törichten Königin die politischen Entscheidungen ins Ohr, während flauschige Hasen durch die Gemächer hoppeln. Das Auftauchen einer Konkurrentin, hintertrieben gespielt von (der ebenfalls Oscar nominierten) Emma Stone als Sarahs Cousine Abigail bringt neue Dynamik in die lesbischen Palastintrigen.
Diese beruhen übrigens auf historischen Ereignissen und führen zu scharfzüngigen Auseinandersetzungen in bester Screwball-Manier à la „Leoparden küsst man nicht“, von denen sich Lanthimos inspirieren ließ.
Das emotionale Zentrum aber bietet zweifellos die Britin Olivia Colman als Anne, Serienkennern aus „The Crown“ und „Broadchurch“ bekannt: Ihre Oscar-würdige Performance als infantilisierte Königin, die mit aufgelöstem Haar durch die Gemächer humpelt und anstelle ihrer verlorenen Kinder Hasen hält, ist herzzerreißend und nervtötend zugleich. Doch an ihrem Hof stehen Opportunismus und Empathielosigkeit auf der Tagesordnung, und Abigail spricht es offen aus: „Ich stehe auf meiner eigenen Seite.“ Dafür würde sie über Leichen gehen. Und über Hasen.
INFO: IRL/GB/USA 2018. 119 Min. Von Yorgos Lanthimos. Mit Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone.
Kommentare