Knapp vor Weihnachten werfen Sony und Marvel noch einen knackigen Blockbuster in den Kinomix. Mit ihrem dritten Teil der Spider-Man-Reihe sprengen Regisseur Jon Watts und Marvel-Mastermind Kevin Feige die Grenzen des Marvel Cinematic Universe (MCU) effektvoll auf und sorgen für eine smart-unterhaltsame Meta-Erzählung.
Volles Fanservice, mit Gelächter und Taschentuch.
Ziemlich genau dort, wo „Spider-Man – Far From Home“ aufgehört hat, setzt das Sequel spritzig fort. Besonders der erste Akt strotzt vor Screwball-Momenten, etwa, wenn Tom Holland als netter Wandkrabbler seine quietschende Freundin MJ (Zendaya) schultern muss, um sich mit ihr vor den tobenden Massen abzuseilen.
Denn mittlerweile weiß es jedes Kind: Spider-Man hat einen so schlechten Ruf, dass er nicht einmal mehr aufs Collage gehen darf.
Aus dem nachbarfreundlichen Superhelden wurde Staatsfeind Nummer Eins. Das neue schlechte Image verdankt Spider-Man Quentin Beck alias Mysterio: Er hat die Identität von Peter Parker aufgedeckt und ihn für den Drohnenangriff auf London verantwortlich gemacht. Nun kann Peter keinen Fuß mehr auf die Straße setzen, ohne dass Menschen mit gezücktem Handy jeden seiner Schritte mitfilmen.
Multiversum
Zurück zur Normalität – diesen Wunsch hegt manchmal auch ein Superheld.
Peter Parker sucht Rat bei seinem Avengers-Kollegen Doctor Strange (Benedict Cumberbatch), der ihm das Du-Wort anbietet und einen Zauberspruch murmelt: Alle Welt soll die wahre Identität von Spider-Man vergessen.
Leider quatscht der aufgeregte Spidey dauernd dazwischen, sodass der Zauberspruch schief läuft und sich das Multiversum öffnet. Nicht nur ist Doctor Strange sauer („Ich weiß ja, warum ich keine Kinder habe“), sondern kugeln plötzlich interdimensionale Bösewichte wie Doc Ock (Alfred Molina), Green Goblin (Willem Dafoe) und Electro (Jamie Foxx) durch die Kulisse und wissen nicht, wie ihnen geschieht.
Mit ihrem Auftauchen ändert sich der Tonfall.
Wo eben noch Teenie-Komödie und versteckte Küsse für gute Laune und flotte Action sorgten, verdüstert sich das Bild Richtung schicksalhaftem Finale mit emotionaler Tiefenbohrung. Vor den Schmerzen des Erwachsenwerdens ist kein Superheld gefeit und auch er muss die bittere Wahrheit lernen: Es führt kein Weg nach Hause zurück.
INFO: USA/Island 2021. 148 Min. Von Jon Watts. Mit Tom Holland, Zendaya.
Filmkritik zu "Respect": Von Daddys Girl zur "Queen of Soul"
Andere Kinder liegen um diese Zeit schon längst im Bett, doch für Aretha Franklin gelten besondere Regeln. Der Vater höchst persönlich scheucht seine 12-Jährige aus den Federn, um das Gesangstalent der Tochter seinen Party-Gästen zu präsentieren. Im weißen Nachthemd steht das Kind im Wohnzimmer und singt mit schallender Stimme seine Gospels.
Aretha Franklin kam – anders als etwa Billie Holliday – aus gutbürgerlichem Haus. Ihr Vater war ein berühmter Baptistenprediger, der zu seinen Freunden Martin Luther King und Musiker wie Dinah Washington und Sam Cooke zählte. Die Mutter verlässt den Haushalt früh. Aretha bleibt beim Vater, singt in der Kirche und lässt sich von Daddy herumkommandieren.
Jennifer Hudson, 2007 mit dem Oscar für „Dreamgirls“ belohnt, spielt Aretha Franklin am Anfang ihrer Karriere als unsichere Frau, die Männern gegenüber in eine kindliche Rolle fällt. Tatsächlich scheut der Vater (immer super: Forest Whitaker) nicht davor zurück, sie vor den Augen des Chefs von Columbia Records abzuwatschen.
Allzu tiefe Blicke in die biografischen Abgründe von Aretha Franklin wirft die renommierte, südafrikanisch-amerikanische Bühnen- und TV-Regisseurin Liesl Tommy in ihrem Filmdebüt „Respect“ nicht. Dass diese mit 12 Jahren (!) ihr erstes Kind bekam, wird zwar als sexueller Missbrauch angedeutet, die traumatischen Nachwirkungen aber werden psychologisch vernebelt und einzelne Lebensstationen dramaturgisch flach erzählt.
Höchstform aber erreicht Jennifer Hudson, die sich als Interpretin zahlreicher Franklin-Klassiker – von „Respect“ bis „A Natural Woman“ – als würdige „Queen of Soul“ erweist.
INFO:USA/KAN 2021. 145 Min. Von Liesl Tommy. Mit Jennifer Hudson, Forest Whitaker, Marlon Wayans.
Filmkritik zu "Annette": Liebe und Hass in der Oper und auf TikTok
Mit großer Leidenschaft und nervöser Energie singen sich Adam Driver (Kylo Ren aus „Star Wars“) und Marion Cotillard durch eine wahnwitzigen Rockoper, zu der die Art-Popband Sparks ihre unverkennbare Musik geschrieben hat. Regie führte Frankreichs Anarcho-Filmemacher Leos Carax („Die Liebenden von Pont-Neuf“).
Der Schock-Kabarettist Henry McHenry (Driver) liebt die Opernsängerin Ann (Cotillard), deren Bühnentode als tragische Heldin das Publikum entzünden. Auch die Liebe zwischen Ann und Henry nimmt einen schweren Verlauf: Während sie immer berühmter wird, sackt seine Karriere ab. Die Geburt der Tochter Annette – eine kleine Holzpuppe mit Clownsgesicht – kann die Beziehung nicht retten.
Von der Opernaufführung bis hin zu Tiktok-Clips zieht Carax alle Register, um die klassischen Motive von Liebe, Hass und Rache durch verschiedene ästhetische Formate zu deklinieren. Euphorisch, dramatisch und abgefahren genug, um mithilfe der Sparks magische Funken zu schlagen.
INFO:F /D/USA 2021. 141 Min. Von Leos Carax. mit Adam Driver, Marion Cotillard.
Filmkritik zu "Benedetta": Ekstasen der Selbstinszenierung
Das Mädchen Benedetta tritt ins Kloster ein und verblüfft bald die gesamte Schwesternschaft mit Christus-Visionen und blutenden Wundmalen. Ihre Fantasie ist befeuert von unterdrücktem sexuellen Begehren, fauchenden Giftschlangen und einem jugendlich-erotischen Jesus. Als eine hübsche Bauerntochter im Kloster landet, beginnen die beiden Frauen eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, im Zuge derer Benedetta die Klosterführung an sich reißt. Effektvoller Nonnenschocker von „Basic Instinct“-Regisseur Paul Verhoeven, der aber an seinen letzten Film „Elle“ nicht herankommt.
INFO: F/BEL/NL 2021. 131 Min. Von Paul Verhoeven. Mit Virginie Efira, Charlotte Rampling, Lambert Wilson.
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