Wenn ein Vater und sein Sohn in ihrem Auto im Stau stecken und sich anzicken, sieht zuerst alles nach typischem Generationskonflikt aus. Doch wenn aus dem Rettungsauto nebenan plötzlich ein Fabelwesen – halb Mann, halb Vogel – herausspringt und krächzend davonläuft, geht die dystopische Sonne einer nahen Zukunft auf.
Tatsächlich ist in Sci-Fi-Frankreich eine Art Virus ausgebrochen. Befallene Menschen verwandeln sich langsam in Tiere unterschiedlichster Fantasy-Gattungen und werden staatlich gejagt. Einmal eingefangen, sperrt man sie in Institutionen, wo man sie mit Medikamenten bezähmt und von besorgten Angehörigen besuchen lässt.
Auch Vater François und sein Sohn Émile befinden sich auf dem Weg ins Krankenhaus: Dort wird Émiles Mutter behandelt, die ebenfalls zu einer haarigen Kreatur mutierte. Als sie in eine Auffangstation in den Südwesten Frankreichs verlegt wird, ziehen ihr Mann und ihr Sohn mit, um in ihrer Nähe bleiben zu können.
François beginnt, als Kellner zu arbeiten, während sich Émile in einer neuen Schulklasse eingewöhnen muss. Beim Tauziehen im Turnunterricht beflügeln ihn plötzlich ungeahnte Kräfte und kündigen auch bei ihm die Verwandlung zum Tier an. Als ihm eine Mitschülerin eine Tablette reicht, schleckt er ihr mit der Hingabe eines jungen Hundes über die Hand – und erkennt sich selbst nicht wieder.
Mutierender Teenager
Der umwerfende Paul Kircher – mindestens ebenso talentiert wie sein Bruder Samuel – spielt den mutierenden Teenager als zarten Jüngling mit animalischer Triebstruktur. Immer mehr zieht es ihn Richtung verbotener Wald, wo sich die geflüchteten Mutanten versteckt halten.
Regisseur Thomas Cailley zitiert freudig aus dem Genre des Body-Horrors à la David Cronenbergs „Die Fliege“, wenngleich die computergenerierten Spezialeffekte – wie etwa die Flugversuche des menschlichen Adlers – eher mangelhaft aussehen.
Ohnehin ist „Animalia“ zu Beginn am stärksten, wenn es seine Geheimnisse noch für sich behält und die Konventionen der Coming-of-Age-Geschichte irritiert. Als Stimmungsbild für eine Gesellschaft, die unter Druck gerät und zur Selbstjustiz greift, ist das Drama weit weniger komplex als in der Weichzeichnung der Vater-Sohn-Beziehung: Einfühlsam erzählt es nicht nur vom Schmerz des Erwachsenwerdens, sondern auch von der Schwierigkeit, ein Kind loszulassen und alleine zurückzubleiben.
INFO: F 2023. 128 Min. Von Thomas Cailley. Mit Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarchopoulos.
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