Filmkritik zu "Nach einer wahren Geschichte" und "Euphoria": Damen-Doppel
Was haben ein absackender Psycho-Thriller von Roman Polanski und ein morbides Schwestern-Drama aus Schweden gemeinsam?
Auf den ersten Blick nichts, sieht man davon ab, dass in beiden Filmen die patente Eva Green die (zweite) Hauptrolle spielt. Die „echte“ Leading Lady ist Eva Green in beiden Fällen nicht, oder, genauer gesagt: Sie hat eine jeweils berühmte(re) Dame an ihrer Seite.
In der Romanverfilmung „Nach einer wahren Geschichte“ ist es Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner, die das Schwergewicht der Bestseller-Autorin auf sich nimmt und mit Schreibblockaden kämpft.
In „ Euphoria“ wiederum hat Alicia Vikander, neuerdings auch Lara Croft in „Tomb Raider“, die entschiedenere Rolle – auch wenn sie im Verlauf des Dramas ihre gefühlskalte Fassade heruntergeräumt bekommt.
In beiden Filmen aber spielt Eva Green jene Frau, deren Auftauchen das Leben der jeweils anderen radikal in Frage stellt.
Femme Fatale
Ein permanenter Hauch von Femme Fatale umweht das 37-jährige Pariser Ex-Model und findet in ihren Filmrollen mehr oder weniger starken Widerhall. Seit sie von Bernardo Bertolucci für seine 1968er-Fantasie „The Dreamers“ fürs Filmgeschäft entdeckt wurde, oszilliert das Bond-Girl aus „Casino Royale“ im Rollenrepertoire zwischen sinnlicher Verführung und coolem (Over)Kill. Robert Rodriguez beispielsweise stilisierte ihr umwerfendes Erscheinungsbild – große blaue Augen, schwarzes langes Haar, wogender Busen – zur perfekten Neo-Noir-Schönheit in „ Sin City – A Dame to Kill for“.
Aber weil Miss Green ihre Augen auch sehr weit aufreißen kann und ihr Mund geradezu schreit nach knallrotem Lippenstift, haftet ihr auch ein gewisser Touch von B-Movie-Trash-Queen an. Diese leise Neigung zum Grotesken hat sich Tim Burton zunutze gemacht und sie, die übrigens die angeheiratete Nichte von Michael Hanekes Kameramann Christian Berger ist, als Frau fürs Schräge engagiert. In „Die Insel der besonderen Kinder“ verpasste Burton ihr eine schiefe Haartolle und ließ sie als Leiterin eines Waisenhauses für Freaks zum Vogelflug ansetzen.
Polanski
Der 84-jährige Oscarpreisträger Polanski wiederum mobilisierte in Eva Green das Bild der mysteriösen Verführerin. Mit saftig roten Lippen und knalligem Lederrock taucht sie im Leben einer Schriftstellerin namens Delphine auf und deklariert sich als deren größter Fan.
Delphine befindet sich gerade im Zustand depressiver Schreibhemmung. Die neue Verehrerin taucht aus dem Nichts auf, nennt sich Elle und drängt sich mit gewinnendem Lächeln in ihr Leben. Sie füttert die nervöse Delphine mit Xanax-Pillen, beantwortet deren Emails, trägt die gleichen Stiefletten und absolviert Auftritte als ihre Doppelgängerin. Spätestens dann wird die Drehbuch-Konstruktion im Zeitalter von Google brüchig, obwohl der französische Meisterregisseur Oliver Assayas daran beteiligt war.
Delphines Hingabe an Elle, deren Stalker-Mentalität ähnlich wie in Stephen Kings „Misery“ bald offen zutage liegt, hat irritierenden Effekt, eröffnet aber keine nennenswerten psychologischen Abgründe. Die Frauen zanken sich in ihrer Wohngemeinschaft, Elle wacht eifersüchtig über den Tagesablauf der müden Autorin und zertrümmert in einem Wutanfall den Standmixer. Doch so richtig obsessiv oder irrwitzig oder gar unheimlich wird es nie. Selbst die formidable Eva Green bleibt als fanatische Freundin nur attraktive Oberfläche einer großer Geheimnislosigkeit. Insofern enttäuscht Polanskis hochkarätiges Verwirrspiel, weil es weder als Spannungsthriller, noch als vielschichtiges Psychogramm auftrumpfen kann.
Euphoria
„Ich muss in meinen Filmen oft sterben“, sagte Eva Green einmal fröhlich in einem Video-Interview: „Warum, weiß ich auch nicht.“
Wer völlig ohne Vorwissen in „Euphoria“ gehen möchte, sollte jetzt zu lesen aufhören. Denn tatsächlich bekommt Eva Green dort praktisch die Länge eines Spielfilms eingeräumt, um genau das zu tun: Sterben.
Die schwedische Regisseurin Lisa Langseth nahm Green das lange Haar ab und ließ sie mit Kurzhaarschnitt als krebskranke Emilie überraschend mädchenhaft erscheinen. Die fragile Emilie entfesselt Gefühlsausbrüche, die ihre entfremdete Schwester Ines – gespielt von der kühlen Vikander – ins emotionale Eck treiben.
Allerdings bleiben nur wenige Tage für die Familienaufstellung, denn Emilie hat sich mit der ahnungslosen Ines in ein sündteures Sterbehospiz eingecheckt: Dort sieht sie mit anderen Kranken ihrem assistierten Tod entgegen.
Der Schwesternkonflikt, wenngleich mit großer Verve gespielt, verläuft in „Euphoria“ relativ schematisch. Der wahre, tief gehende Unheimlichkeitseffekt stellt sich in den matten, grün-grauen Farbtönen ein, die wie ein vergifteter Weichzeichner eine tödliche Wellness-Landschaft umlauern.
Immer, wenn die Kirchenglockenläuten, schreitet ein weiterer Kandidat in den selbst gewählten Freitod. Und eines muss man Eva Green lassen: Auch Sterben kann sie hervorragend.
INFO:
Nach einer wahren Geschichte. F/POL/BEL 2017. 100 Min. Von Roman Polanski. Mit Emmanuelle Seigner, Eva Green.
Euphoria. UK/SWE/D 2017. 104 Min. Von Lisa Langseth. Mit Alicia Vikander, Eva Green.
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