Filmkritik zu "Little Women": Heiraten, nein danke
Am Ende eines Romans muss das Mädchen heiraten – oder sterben. Alle anderen Geschichten verkaufen sich nicht, sagt der Verleger. Da kann die junge Schriftstellerin noch so sehr mit den Zähnen knirschen: Entweder sie schreibt für ihre Story ein Happy End, oder
ihr Manuskript wird nicht gedruckt.„Little Women“ nannte sich schließlich jener Bestseller, der die US-Schriftstellerin Louisa May Alcott 1868 schlagartig berühmt machte und seitdem in den amerikanischen Kinderzimmern den Vorsitz führt. Generationen von Mädchen und Frauen fanden ihre Vorbilder in den March-Schwestern – die Fans reichen von Simone de Beauvoir über Susan Sontag bis hin zu Elena Ferrante.
Little Women
Die Geschichte der vier jungen, talentierten March-Schwestern im Massachusetts des 19. Jahrhunderts war stark von Alcotts eigenen familiären Kindheits- und Jugenderlebnissen mit ihren Schwestern inspiriert. Vor allem die Hauptfigur Jo March, eine forsche, junge Frau, die gerne Schriftstellerin werden möchte, spiegelte (zum Teil) das Leben der Autorin wider.
„Little Women“ ist bis heute ein echter Klassiker in der englischsprachigen Welt und wurde allein in den USA fünf Mal verfilmt. Greta Gerwig, Regisseurin von „Lady Bird“, hat mit ihrem zweiten Spielfilm also nicht gerade filmisches Neuland betreten.
Doch Gerwig ist eine der (wenigen) Lichtgestalten an der düsteren Hollywood-Front weiblichen Filmschaffens, und brillant ist auch ihr Schauspielerinnen-Ensemble – darunter Emma Watson und Laura Dern – das sich in „Little Women“ spielfreudig zusammenschließt.
Alte Jungfer
Anfangs fühlt sich die Erzählung an wie ein schöner, altmodisch inszenierter Historienfilm: Perlende Klaviermusik – von dem etwas zur Penetranz neigenden Vielschreib-Komponisten Alexandre Desplat – untermalt pittoreske Settings in ländlicher Landschaft.
Die hübschen und talentierten Schwestern und ihre hinreißende Mutter leben dort in veredelter Armut, inszenieren Theaterstücke auf dem Dachboden, spielen Klavier und schreiben Romane.„Ich komm’ einfach nicht über die Enttäuschung hinweg, dass ich ein Mädchen bin“, mault Jo March, von „Lady Bird“ Saoirse Ronan mit fliegenden Haaren und milchblassem Teint gespielt. Mit einer Schreibfeder in der Hand marschiert Jo entschlossen durch ihre Jugendjahre und schwört, als alte Jungfer sterben zu wollen. Heiraten, nein danke.
Gerwig verteilt das Schicksal der vier jungen Frauen durch Rückblenden auf verschiedene Zeitebenen, greift Ereignissen vor und liefert die Erklärung dazu nach.
Wer wen warum und wieso schließlich heiratet (oder auch nicht) treibt die Geschichte vergnüglich voran.
Insgesamt aber steht das romantische Werben – wie sonst gerne in vergleichbaren Genre-Filmen – nicht im Mittelpunkt. Schwesternliebe und die Suche nach den eigenen (artistischen) Ausdrucksmöglichkeiten stellt Liebesdinge in den Schatten.
Stattdessen leuchtet die feministische Botschaft, seiner (kreativen) Berufung zu folgen, klar am Boden der Erzählung und bringt alle Darstellerinnen zum Funkeln.
Was als klassisch-gediegene Romanverfilmung beginnt, gewinnt zunehmend im Detail. Gerwig nimmt „Little Women“ richtig persönlich. Die Stimmungslagen der Figuren spiegeln sich in temperamentvollen Tänzen und goldenen Herbstlandschaften wider. Glückliche Strandausflüge erinnern an die Gemälde französischer Impressionisten. Aber das Licht wird kalt, wenn Krankheit und Tod die Biografien der Schwestern verdunkeln.
Versäumnis
Immer aber versteht es die Regisseurin, genau jene Energien zu entfesseln, die Teenager und solche Menschen beflügeln, die das Wort Begeisterung noch buchstabieren können: Begeisterung für ein Gedicht, ein Lächeln, ein Theaterstück, ein neues Klavier, eine Geste der Freundschaft oder der Liebe.
Coming-of-Age-Filme erzählen von den Reibungen der Übergänge, des Älterwerdens und dem Sich-anpassen-Müssen an die Welt der Erwachsenen. Gerwigs „Little Women“ paart diese Fliehkräfte der Veränderung mit der Macht der Vorstellung.
Ohne Weiteres hätte man ihren Film in der Kategorie Beste Regie für den Oscar nominieren können. Ein echtes Versäumnis der Academy.
INFO: USA 2019. 135 Min. Von Greta Gerwig. Mit Saoirse Ronan, Emma Watson, Timothée Chalamet.
Filmkritik zu "Die fantastische Reise des Dr. Dolittle": Verwahrloster Tierflüsterer
Wer an „Dr. Dolittle“ im Kino denkt, hat den eleganten Rex Harrison im grauen Cut mit Zylinder vor Augen. Ein Gentleman, dem Eddie Murphy einige Jahre später nicht das reichlich getrunkene Quell-Wasser reichen konnte. In dieser neuen Version ist es Robert Downey Jr., der immerhin zwischen „Iron Man“ und „Sherlock Holmes“ darstellerisch wie auch an der Kinokasse überzeugte, der die Kommunikation mit den Tieren übernommen hat.
Die fantastische Reise des Dr. Dolittle (D)
Trotz eines Budgets von 175 Millionen Dollar hat man das Gefühl, als habe Hollywood diesen Stoff optisch nicht adäquat umgesetzt. Offenbar kosten digitale Witzchen doch (zu) viel Geld, das dann anderswo – trotz vorhandener optischer Tier-Highlights – fehlt. Alles in allem ist es schwer zu definieren, was bei diesem Film schiefgelaufen ist.
Ein exzentrischer Arzt, der mit Tieren sprechen kann, stürzt sich in verrückte Abenteuer, um der Natur und ihren pelzigen Bewohnern zu helfen. Daran ist nichts auszusetzen. Die Geschichte beginnt – man ist kurz verwirrt – wie ein Animationsfilm. Dann geht es „menschlich“ weiter. Der darauffolgende Mix aus Fleisch, Blut und Digital ist allerdings nicht neu. Die Rahmenhandlung wird von zwei Kindern getragen. Als dann Dr. Dolittle auftaucht, sehnt man sich nach dem so eleganten und charmanten Rex Harrison.
Wuchernder Bart
Denn hier kommt uns ein verwahrloster Robert Downey Jr. entgegen, der mit wucherndem Haar und Bart wie ein Obdachloser aussieht. Er trauert um seine verstorbene Frau und möchte in Ruhe gelassen werden. Bis er erfährt, dass die junge Queen (es handelt sich um Victoria) schwer erkrankt ist. Daraufhin begibt er sich – natürlich in Begleitung seiner animalischen Gesellschafter – auf eine abenteuerliche Reise, um ein Heilmittel für sie zu finden.
Vielleicht liegt das Problem darin, dass Regisseur Stephen Gaghan hauptsächlich für „Syriana“ und das Drehbuch für „Traffic“ bekannt ist – also für Kriegs- und Polit-Thriller. Der leichte Tonfall rund um einen schelmischen Tierflüsterer ist offenbar nicht so ganz sein Metier.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: USA 2020. 101 Min. Von Stephen Gaghan. Mit Robert Downey Jr., Antonio Banderas.
Filmkritik zu "The Royal Train": Prinzessin auf Ausfahrt
Rumänien ist schon seit 1947 kein Königreich mehr, doch es hat eine Kronprinzessin: Margareta, älteste Tochter des kürzlich verstorbenen König Mihai I., gilt als „Hüterin der königlichen Krone“. In dieser Funktion hat sie die traditionellen königlichen Zugfahrten wieder aufgenommen, pflügt mit ihrem Gefolge durch die rumänische Landschaft und lässt sich von der manchmal nur halb-interessiert wirkenden Bevölkerung zuwinken.
In seiner höchst unterhaltsamen Doku „The Royal Train“ begleitet der Salzburger Filmemacher Johannes Holzhausen Prinzessin Margareta auf ihren monarchistischen Propaganda-Fahrten und liefert wunderbar klare, teilweise höchst bizarre Bilder. Königliche Mitarbeiter breiten auf dreckigen Provinz-Bahnhöfen rote Teppichstreifen aus und kleben sie in letzter Minute mit Tesafilm fest. „Ich bin gegen den roten Teppich“, sagt eine Bahnhofsvorsteherin: „Ich finde, dieses Kapitel ist abgeschlossen.“
Doch Margareta lässt sich nicht beirren. Ihre Auftritte haben etwas von einer Karnevalsinszenierung, bei der alle höflich mitspielen. Die Prinzessin schüttelt Hände und wirft Fotos von der Königsfamilie aus dem Zugfenster.
Trotz ihrer karitativen Bemühungen wirken die Insassen des Royal Train völlig abgekoppelt von der (oft tristen) rumänischen Realität, die nur als – schäbige – Kulisse vor den Zugfenstern vorbeizieht. Ein Roadtrip (in) der Sonderklasse.
INFO: A/RO 2020. 94 Min. Von Johannes Holzhausen. Mit Prinzessin Margareta, Prinz Charles.
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