Über das kurze Leben der britischen Schriftstellerin Emily Brontë, Autorin des Romanklassikers „Sturmhöhe“, weiß man wenig. Die berühmten Brontë-Schwestern – darunter Charlotte Brontë, die Verfasserin von „Jane Eyre“ – galten alle drei als schräg; Emily aber war die Schrägste. Oft als extrem verschlossen, ja geradezu schroff beschrieben, pflegte sie außerhalb der Familie kaum Kontakte.
Viele Leerstellen also, um der erzählerischen Fantasie freien Lauf zu lassen. Die Schauspielerin Frances O’Connor füllte für ihr Regiedebüt die Lücken in Emily Brontës Biografie mit Gusto für modernes Drama.
Die wahren Brontë-Auskenner können sich natürlich nicht verkneifen, auf alle Fehler hinzuweisen. So hält Emily beispielsweise die Erstausgabe ihres Buches „Sturmhöhe“ in Händen, auf dem ihr Name als Autorin genannt ist. Tatsächlich veröffentlichte sie zeit ihres Lebens unter dem Pseudonym Ellis Bell.
Aber O’Connor hält sich nicht lange mit historischen Spitzfindigkeiten auf. Stattdessen leitet sie die ungestüme, brutale und erotische Kraft, die „Sturmhöhe“ auszeichnet, direkt in ihre Lesart von Emilys Leben um.
Affäre
Die größte Freiheit nimmt sich O’Conor wahrscheinlich mit der Behauptung einer leidenschaftlichen Affäre im Leben von Emily Brontë.
Um ihr schlechtes Französisch zu verbessern, engagiert der Vater einen Vikar namens William Weightman als Nachhilfelehrer. Emily verhält sich dem geschmeidigen Herren gegenüber erst widerborstig, doch bald endet das Theoriestudium zugunsten leidenschaftlicher Praxis. Die gängige Redewendung, dass sich Liebende lustvoll die Kleider vom Leibe reißen, passt O’Connor mit ironischem Blick an die Vorgaben des frühviktorianischen Englands an. Minutenlang muss der Vikar seine Geliebte aus unzähligen Kleiderschichten schälen, ehe er die Schnüre des Korsetts lockern kann.
Emma Mackey spielt die Außenseiterin Emily Brontë als fragile, aber unbeugsame Persönlichkeit, die durch Verletzungen an Stärke gewinnt. Besonders das Verhältnis zur älteren Charlotte, die ihre Schwester liebt, aber gleichzeitig auch beneidet und klein macht, führt zu familiären Reibungen. Bei einem Rollenspiel übernimmt Emily hinter einer Maske die Rolle der toten Mutter. Sie entfesselt dabei eine derartig aufwühlende Energie, dass ihre Schwestern in Tränen ausbrechen. Der solitären, erzählerischen Wucht von Emily Brontë kann sich niemand entziehen.
INFO: GB/USA 2022. 130 Min. Von Frances O’Connor. Mit Emma Mackey, Fionn Whitehead, Oliver Jackson-Cohen.
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