Filmkritik zu "A Beautiful Day": Der Tod der Jelly Beans

Joaquin Phoenix und Ekaterina Samsonov in "A Beautiful Day"
Joaquin Phoenix schleppt sich als Auftragskiller durch einen bildgewaltigen, aber prätentiösen Thriller.

Wie sich selbst beruhigen.

Ein Plastiksackerl über den Kopf ziehen, hinein atmen. (Nicht zur Nachahmung geeignet!). Sich im Kasten verstecken. Zahlenreihen sprechen. Wiederholen: Zehn, neun, acht, sieben, sechs, ...

Lynne Ramsey, profilierte schottische Filmemacherin mit kleinem Werkregister (darunter „Ratcatcher“ und „We Need To Talk About Kevin“) steht auf haptisches Kino. Ihre Filmbilder wollen nicht nur vom Auge gesehen, sondern vom ganzen Körper gefühlt werden: Das Flüstern auf der Tonspur, der Fluss des Atmens, das Geräusch des Regens.

Auch die Kamera übernimmt bei Ramsey die Funktion des Tastsinns. Zärtlich streicht sie über Hautoberflächen und erforscht sie in Nahaufnahmen wie eine Landschaft. Das Gesicht von Joaquin Phoenix, etwa, zugewachsen mit grauem Barthaar. Sein mächtiger Körper, seine Narben auf dem Rücken, sein Bauch werden ausgelotet wie ein Gebäude. Sogar seine Stimme scheint im massigen Leib zu verschwinden, undeutlich und heiser.

Aber Joaquin Phoenix als Auftragskiller Joe ist ohnehin kein Mann der großen Worte. Beinahe schweigsam nimmt er seine Aufträge entgegen, führt sie penibel aus und kehrt dann wieder in den gemeinsamen Haushalt mit seiner spaßigen Mutter (ein Vergnügen: Judith Roberts) zurück. Schwierigkeiten stellen sich ein, als er die minderjährige Tochter eines Politikers aus den Fängen eines Kinder-Prostitutionsrings befreien soll.

Neo-Noir

Lynne Ramsey wäre nicht Lynne Ramsey, würde sie diese Vorlage zu einem klassischen Spannungsthriller verarbeiten. Viel mehr interessiert sie sich dafür, wie es aussieht, wenn Menschen Jelly Beans zwischen ihren Fingern zerdrücken oder sich Zähne aus dem blutigen Mund ziehen. Die Suche danach, wie sich etwas anfühlt – sowohl innerlich wie auch äußerlich – beflügelt Ramseys Bildsuche. Joe beispielsweise wird immer wieder von traumatischen Flashbacks aus Kindheit und jüngerer Vergangenheit heimgesucht, die ihn ins Plastiksackerl treiben und seinen Seelenzustand trüben. Sein oft verstörte Wahrnehmung stülpt sich über nächtliche Straßen und lässt sie zum nervösen Sound von Jonny Greenwood, dem Gittaristen von Radiohead, zu somnabulen Lichtstreifen in Neo-Noir verschwimmen.

Diese lyrisch anmutenden Bilder unterbricht Ramsey mit brutalen Gewalteinschüben – und letztlich sind es ihre (visuellen) Manierismen, die das Charisma der Geschichte unterlaufen.

Die Flashbacks, zum Beispiel: Ramsey bemüht sich beinahe schon krampfhaft darum, Joe, ihre erratische Hauptfigur, mit größtmöglichem Geheimnis zu umwölken. Gleichzeitig fahren Joes Erinnerungsblitze fast schon überdeutlich in die Handlung und mischen alle möglichen Traumata durcheinander.

Da gibt es Erinnerungssplitter von Joe, wie er sich als Kind vom prügelnden Vater im Kasten versteckt, aber auch schlaglichtartige Kriegsbilder von Sterbenden im Sand oder von erstickten Leichen im Lastwagen.

Joe hat eindeutig eine schwere Vergangenheit hinter sich, so viel ist sicher. Doch Lynne Ramsey strengt sich einfach zu sehr an, sowohl seine Psyche, wie auch die Thrillerhandlung möglichst originell, sprunghaft und unberechenbar zu erzählen. Mit dem Effekt, dass dadurch ihre Volten weniger dringlich wirken als prätentiös.

UK/F/USA 2017. Von Lynne Ramsey. Mit Joaquin Phoenix, Judith Roberts.

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