Filmjuwel: Ein Bub wächst "live" im Kino auf

Filmjuwel: Ein Bub wächst "live" im Kino auf
Richard Linklaters Wettbewerbsfilm "Boyhood" ist schlichtweg überragend.

Wenn es einen herausragenden Wettbewerbsfilm auf der diesjährigen Berlinale gab, dann Richard Linklaters "Boyhood". Schon vor der offiziellen Preisverleihung wurde er ausgezeichnet: mit dem Preis der Deutschen Filmkunsttheater für den besten Film im Wettbewerb.

Mit tosendem Applaus und großem Jubel wurde Linklaters erstklassiges Filmjuwel in Berlin begrüßt. Dort hatte "Boyhood" seine offizielle Premiere, obwohl der Film bereits in Sundance gezeigt worden war.

"Was machst du in zwölf Jahren?" fragte Regisseur Linklater die Schauspielerin Patricia Arquette, als er ihr die Rolle der Mutter in "Boyhood" anbot. Denn zwölf Jahre lang erzählt er quasi "live" aus dem Leben eines Buben und seiner Familie. Seit Juli 2002 drehte Linklater jedes Jahr mit seinem Schauspielerteam für ein paar Tage an seinem Opus Magnum "Boyhood". Wir lernen Mason, gespielt von dem exzellenten Ellar Coltrane, als sechsjährigen Buben in einer texanischen (Klein-)Stadt kennen. Und verlassen ihn erst wieder als 18-Jährigen, wenn er von zu Hause auszieht, um aufs College zu gehen.

Echtzeit

Jemanden dabei zu beobachten, wie er altert wie im wirklichen Leben – ohne Maske oder Computeranimation– trägt viel zu der Faszination von "Boyhood" bei. Denn innerhalb von zwölf Jahren veränderte sich, wie zu erwarten, im Leben der Schauspieler viel: "Manche hatten Krebs, andere begruben ihre Eltern", erzählte Arquette in Berlin. Sie selbst bekam ein Kind, heiratete und ließ sich scheiden. Und auch Linklater und Hawke wurden innerhalb dieser Zeit noch zwei Mal Vater: "Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob uns das ganze Projekt nicht über den Kopf wachsen wird", erinnert sich Linklater. Und seine Tochter Lorelei, die Masons Schwester Sam spielt, wollte mittendrin sogar "sterben" , sprich, aus dem Projekt aussteigen: "Das war das Harry-Potter-Jahr", erinnert sich der Vater.

Patricia Arquette als Olivia und der famose Ethan Hawke als Mason Sr. spielen die Eltern von Mason und seiner Schwester Sam und leben bereits zur Beginn der Geschichte getrennt. Unabhängig voneinander versuchen beide, ihr Erwachsenenleben auf die Reihe zu bekommen. Olivia geht zurück aufs College und studiert Psychologie, Mason Sr. hängt seinem Traum von Berufsmusiker nach – bis er in die bürgerliche Existenz einschwenkt.

Die Kinder auf dem Weg zum Erwachsensein, aber auch die Eltern in ihrem Kampf, selbst erwachsen zu werden und sich zu guten Eltern zu entwickeln – das macht Linklaters Momentaufnahmen so reich.

Olivia etwa beschert den Kindern einen Adoptivvater, der sie mit seiner Alkoholsucht tyrannisiert. Ein Mal zwingt er den kleinen Mason dazu, sich die Haare ratzekahl abzuschneiden. Und diese Wunde heilt in der kindlichen Seele erst wieder, als eine Schulkollegin die neue Frisur ganz toll findet.

Treffsicher findet Richard Linklater in "Boyhood" seine erzählerischer Balance: Zwischen der Leichtigkeit von jugendlichem Optimismus. Und dem Erleiden jener Blessuren, die einem unweigerlich in der Kindheit geschlagen werden.

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