Filmfestival Venedig: Wer im Krieg tapfer kämpft, bekommt Gnocchi
Die Filmfestspiele von Venedig sind eröffnet. Dort, wo die amerikanische Schauspielerin Zendaya und ihre Kollegen über den roten Teppich marschieren sollten, schritten nun Italiener und Belgier. Sie sind für die fehlende US-Crew eingesprungen, denn aufgrund des amerikanischen Doppelstreiks der Schauspieler und Drehbuchautoren bleibt das Hollywood-Personal dem Lido weitgehend fern.
Zahlreiche Filmschaffende in Venedig betonen ihre Solidarität mit den Streikenden, darunter Oscarpreisträger und Präsident der Preisjury Damien Chazelle.
Ursprünglich war zur Eröffnung des 80. Filmfestivals Luca Guadagninos „Challengers“, ein Liebesfilm im Sportmilieu mit Zendaya, geplant gewesen. An seiner Stelle servierte Festivalchef Alberto Barbera das hochstilisierte italienische Historienepos „Comandante“ von Regisseur Edoardo De Angelis. Der charismatische Pierfranceso Favino spielt darin den Titelhelden Salvatore Todaro, Kommandant eines Unterseebootes der italienischen Marine während des Zweiten Weltkriegs. Im Oktober 1940 versenkt Todaro ein belgisches Handelsschiff und nimmt daraufhin die 26 Schiffbrüchigen an Bord, obwohl er damit das Leben seiner Männer gefährdet.
Plankton wie Spermien
Der Vorfall beruht auf wahren Ereignissen und inspirierte De Angelis zum heroischen Porträt eines Mannes, der unter Benito Mussolini für die Faschisten kämpfte – ein politischer Umstand, den der Regisseur weitgehend herunter spielt. Stattdessen verklärt er tapferen Heldentod und italienische Kochrezepte; zur Belohnung für mutigen Kriegseinsatz gibt’s Gnocchi, und einen ertrinkenden Matrosen lässt er noch im Todesrausch lyrisch über seine Liebe zu Meerjungfrauen delirieren. (Stichwort: „Plankton ist das Spermium des Meeres“.)
Dass ein Mann unter faschistischer Befehlsherrschaft zum Helden der Geschichte gemacht wird, stieß bei den internationalen Medienvertretern auf einige Verblüffung. Doch „Comandante“ versucht, alle mit ins Boot zu holen, auch seine Kritiker: Bei der Pressekonferenz schlug De Angelis den Bogen zur Flüchtlingskrise im Mittelmeer und plädierte dafür, dass die italienische Küstenwache so handeln sollte wie Todaro.
Am Ende des U-Boot-Dramas fragt der belgische Kapitän seinen Retter, warum er ihn und seinen Mannen geholfen habe, obwohl sie doch Kriegsgegner seien. Darauf antwortet dieser hintersinnig: „Weil wir Italiener sind.“
Italienisch ging es auch im Wettbewerb von Venedig weiter. „The Order of Time“ von Regisseurin Liliana Cavani erzählt von einer gut situierten Freundesgruppe, die anlässlich eines drohenden Kometeneinschlags mit ihren Lebenslügen aufräumt. Cavani, der man ihre 90 Lebensjahre keine Sekunde ansieht, erhielt zudem den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk – überreicht von Charlotte Rampling: Sie übernahm in Cavanis berühmtestem Film „Der Nachtportier“ (1974) – der übrigens in Wien spielt – die Hauptrolle.
Alexandra seibel, Venedig
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