Eine Frage, die die Grande Dame des polnischen Kinos Agnieszka Holland mit Bravour beantwortet: In ihrem aufwühlenden Wettbewerbsbeitrag „Green Border“ erzählt Holland von der humanitären Katastrophe an Europas Außengrenze. Mit nervöser Kamera stürzt sie sich in das Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus; der belarussische Präsident Lukaschenko hatte Geflüchtete mit falschen Versprechungen dorthin gelockt. Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Marokko werden in brutalen Pushbacks zwischen Belarus und Polen hin- und hergeschoben, verprügelt und misshandelt.
Nazi-Propaganda
Die Regisseurin rekonstruiert die herzzerbrechenden Schicksale der Geflüchteten in düsteren Schwarzweiß-Bildern und aus unterschiedlichen Perspektiven. Polnische Grenzsoldaten werden von ihren Vorgesetzten dazu aufgehetzt, die „Terroristen“ gnadenlos aus dem Land zu vertreiben, während eine Gruppe von Aktivisten (vergeblich) um die Einhaltung der Menschenrechte kämpft.
Sie habe sich erst gar nicht darum bemüht, an offizieller Stelle in Polen um Filmförderung anzusuchen, erzählt Agnieszka Holland im KURIER-Interview: „Ich wollte ungestört arbeiten.“
Prompt wurde sie vom rechtsextremen polnischen Politiker Zbigniew Ziobro als Vaterlandsverräterin beschimpft: Ihr Film ähnle Nazi-Propaganda aus dem Dritten Reich, in der die Polen ebenfalls als Banditen und Mörder dargestellt worden wären. Tatsächlich aber handelt es sich bei Agnieszka Hollands Kino der Empathie um ein unglaublich differenziertes Werk – und einen heißen Anwärter auf den Goldenen Löwen.
Thematisch schließt das Programm damit wieder an den Beginn des Festivals an, wo bereits in dem Eröffnungsepos „Comandante“ der Umgang mit Gestrandeten virulent wurde. Auch der italienische „Gomorrha“-Regisseur Matteo Garrone greift in „Io Capitano“ Migrationspolitik auf. Seine Erzählung beginnt im Senegal, wo zwei 16-jährige Burschen vom besseren Leben in Europa träumen. Die Reise entpuppt sich als unfassbarer Albtraum, mit Zwischenstation in libyschen Foltergefängnissen. Garrone lässt die Odyssee auf hoher See vor italienischem Festland enden – als klares Plädoyer für humanitäre Migrationspolitik.
Fake-Killer
Das Filmfestival von Venedig neigt sich langsam seinem Ende zu. Was die Gästeliste der 80. Jubiläumsausgabe betraf, blieb sie heuer weitgehend unglamourös, nachdem sich die US-Schauspielgewerkschaft im Streik befindet. So war Regisseur David Fincher („Fightclub“) alleine angereist, um seinen Netflix- Thriller „The Killer“ zu präsentieren. Michael Fassbender spielt darin einen Auftragsmörder, der zum Rachefeldzug ansetzt. Mit ausdruckslosem Gesicht plant er seine nächsten Moves. Penibel beobachtet Fincher den Mann bei seinem Präzisionshandwerk, dessen Monotonie die Spannung zunehmend abflacht.
Unterhaltsamer ging es da schon in „Hit Man“ von Richard Linklater zu: Anstelle eines eiskalten Auftragsmörders steht ein Fake-Killer im Mittelpunkt, der weniger für Leichen, als für romantisch-komische Verwirrungen sorgt. Linklaters leichtfüßige Pop-Fantasie lief außerhalb des Wettbewerbs; beim Publikum aber wurde „Hit Man“ zum Überraschungshit.
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