Zur Eröffnung hatte sich Cannes-Chef Thierry Frémaux das neue Werk von Quentin Dupieux, den Spaßvogel unter den französischen Filmemachern ausgesucht. Der Musiker und Regisseur präsentierte mit „Der Zweite Akt“ eine schräge Komödie mit französischem Staraufgebot und sorgte für (sporadisches) Gelächter. Louis Garrel, Léa Seydoux und Vincent Lindon spielen Schauspieler, die Schauspieler mitten in den Dreharbeiten zu einem zweitklassigen Film spielen. Garrel tritt als Typ auf, der seine anhängliche Freundin (Léa Seydoux) an einen Freund abtreten will. Dieser ist misstrauisch: „Ist sie hässlich?“ Vincent Lindon wiederum verkörpert den Vater von Seydoux und regt sich zwischendurch über die Sinnlosigkeit der Schauspielerei auf. Als er allerdings einen Anruf von seinem Agenten bekommt, der ihm eine Rolle bei dem US-Regisseur Paul Thomas Anderson in Aussicht stellt, ist er plötzlich wieder Feuer und Flamme.
Den Vogel schießt schließlich ein Statist in dem Film ab, dessen Aufgabe lediglich darin besteht, Rotwein in vier Gläser zu gießen, aber mit zitternder Hand den Tisch versaut.
Die angestrebte Komik entsteht auf mehreren Meta-Ebenen, die Dupieux in seiner Komödie einzieht. Die Sturz der Schauspieler aus ihren Rollen provoziert Selbstentblödung, politisch unkorrekte Reden und scheinheilige Toleranz („Vorsicht, sonst werden wir gecancelt!“). Wiederholt schlägt Dupieux in seinem Film-im-Film überraschende Volten, prangert die Abgründigkeit des Filmemachens an und zieht dabei dem Publikum den Boden unter den Füßen weg. Seine (selbst-)ironische Erzählweise provoziert zwar immer wieder Pointen, die manchmal mehr, manchmal weniger zünden, verschleiert aber geschickt die eigene Haltung des Regisseurs.
Protestverbot
Eindeutige Positionen hingegen bezieht heuer die Führung des Festivals in Cannes. Während vor zwei Jahren beispielsweise noch der ukrainische Präsident Selenskij bei der Eröffnung live zugeschaltet wurde, sind heuer alle Formen von politischem Aktivismus rund um die Festivalkinos verboten. Weder darf Selenskij auftreten, noch werden Proteste gegen den Gaza-Krieg gestattet. Selbst das Tragen von politischen Ansteckern – sei es, um die Unterstützung mit der palästinensischen Bevölkerung zu signalisieren, sei es, um sich mit israelischen Geiseln zu solidarisieren – sind untersagt: „Wir wollen das heurige Festival frei von Polemik halten und sicherstellen, dass die Aufmerksamkeit dem Kino gilt“, verkündete Thierry Frémaux.
Ob sich die Kontroversen rund um die schwelenden MeToo-Debatte innerhalb der französischen Filmindustrie an diese Vorgabe halten werden, bleibt abzuwarten.
Abschied von der Welt
Ganz dem Kino widmete sich der berührende Film der mittlerweile verstorbenen Filmemacherin Sophie Fillières: Die Regisseurin konnte ihre traurige Komödie „This Life of Mine“ nicht mehr selbst fertig erzählen. Es waren ihre Kinder Agathe und Adam Bonitzer, aus der Ehe mit dem französischen Filmemacher Pascal Bonitzer, die das Werk der Mutter vollendeten.
Agnes Jaoui spielt das Alter Ego der Regisseurin, eine Frau Mitte 50 namens Barbie Bichette, die mit ihrer Umgebung auf Kollisionskurs geht. Getrennt vom Ehemann und ihren erwachsenen Kindern, entstehen sowohl Tragik als auch Komik durch ein Gefühl der Entfremdung, das sich zwischen Barbie und der Generation ihrer Kinder, aber auch der Welt überhaupt, einschleicht. Trotz dieser schmerzlichen Erfahrungen jedoch gerät „This Life of Mine“ zu einer zärtlich-unterhaltsamen Liebeserklärung der sterbenden Sophie Fillières auf die Schönheit des Lebens, aufgehoben im Vermächtnis des Kinos.
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