Filmbranche: "Drehen in der Krise"
Die österreichische Filmlandschaft liegt seit Ausbruch des Coronavirus komplett brach. Filmdrehs wurden abgebrochen, Sets geschlossen und Produktionen auf unbestimmte Zeit verschoben.
Wie es weitergehen kann, weiß niemand. Bisher gibt es vonseiten der Regierung keine verbindlichen Richtlinien, wie eine Zukunft für den österreichischen Film aussehen könnte.
„Die Ausgesperrten“ nennen sich die Produzentenverbände und der Verband Filmregie Österreich vieldeutig in einer erbitterten Aussendung,
in der sie die Perspektivenlosigkeit für die heimische Filmbranche als Desaster bezeichnen. Es sei überaus dringend notwendig, dass sich die politischen Verantwortlichen mit Experten und Expertinnen aus der Branche für einen ernsthaften Dialog an einen Tisch zusammensetzten.
„Allein im Kinobereich sind um die 25 Produktionen unmittelbar betroffen, die abgebrochen werden mussten“, schätzt Roland Teichmann, Chef des Österreichischen Filminstituts (ÖFI), der größten heimischen Fördereinrichtung. Teichmann schätzt die Mehrkosten, die auf allen Ebenen aufgrund von Abbrüchen und Verschiebungen entstehen, auf rund 1,7 Millionen Euro monatlich.
Ein Abbruch von laufenden Dreharbeiten erweist sich für alle Beteiligten als Katastrophe: „Je länger man nicht drehen darf, desto schwieriger wird es“, weiß auch Regisseur und Produzent David Schalko, der gerade für den Privatsender Sky die Serie „Ich und die anderen“ mit Tom Schilling drehte und aufgrund der Corona-Krise die Produktion stilllegen musste: „Das Hochfahren wird immer teurer. Man verliert Leute aus dem Team, deren Termine mit Folgeprojekte kollidieren. Die Zusatzkosten werden immer höher.“
Auch Regisseurin Kurdwin Ayub kann ein Lied davon singen, was es heißt, laufende Dreharbeiten abbrechen zu müssen. Dabei geht es nicht immer nur um Geld.
Losing My Religion
Gerade neun Tage konnte sie an ihrem Spielfilm „Sonne“, der von der Ulrich Seidl Filmproduktion produziert wird, arbeiten – dann fiel die letzte Klappe: „Zuerst war es ein Schock, dann kam die Depression“, sagt die 30-jährige, im Irak geborene und in Wien aufgewachsene Filmemacherin: „,Sonne‘ ist mein erster Spielfilm, und ich habe zehn Jahre meiner Karriere darauf hingearbeitet, ihn zu drehen.“
In „Sonne“ erzählt Ayub von drei jungen Mädchen, die mit ihrer muslimischen Musikversion von „Losing My Religion“ über Nacht zu Youtube-Stars werden: „Meine Darsteller sind Jugendliche“, erzählt die Regisseurin: „Einer davon ist erst 15 und wird Monat für Monat älter und größer. Wer weiß, um wie viel er größer geworden ist, wenn wir erst im Herbst weiterdrehen können? Muss ich dann alle Szenen nochmals drehen?“
Gleiches gilt für ihre Hauptdarstellerinnen, die ebenfalls noch Teenager sind: „Ich rufe sie alle paar Wochen an und frage durch die Blume nach, ob sie eh nicht zu- oder abgenommen haben oder ob sie ihre Haare immer noch gleich tragen. Ich habe Angst, dass sie im Herbst komplett anders ausschauen.“
Hinzu kommen natürlich große Geldsorgen. Für den Dreh hat Kurdwin Ayub eine Wohnung angemietet und komplett ausgestattet, deren Miete jetzt auf unbestimmte Zeit weiterbezahlt werden muss: „Jede Woche kommen neue Informationen und werfen alle Pläne wieder um. Man weiß nicht, wie man kalkulieren soll.“
Unkalkulierbar
Genau diese Unkalkulierbarkeit der Situation macht die Sache für die Produktion und deren Produzenten auch so schwierig: „Arbeitsrechtlich gibt es wenige Grundlagen“, weiß Schalko: „Was machen wir beispielsweise, wenn wir zu drehen beginnen und eine zweite Welle an Corona-Erkrankungen stattfindet?“
Ähnlich sieht die Problematik auch Tommy Pridnig, Geschäftsführer der Lotus Film und Produzent von Regisseurinnen und Regisseuren wie Barbara Albert, Detlev Buck oder Barbara Eder: „Von Herstellerseite ist die Überlegung, ein Projekt zu starten, im Moment so unüberschaubar, dass es besser ist, dieses Projekt nicht zu starten. Das ist logisch, weil es derzeit eine Handlungsanleitung zum Selbstruin ist“, so Pridnig: „Deswegen müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen
die Hersteller das Risiko eingehen können.“
Dazu bedürfe es einerseits der Einrichtung eines Haftungsfonds, der im Falle
einer Drehunterbrechung zur finanziellen Absicherung dient. Zum anderen bräuchte es eine Adaptierung der kollektivvertraglichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: „Wir sind eine relativ Mitarbeiter-intensive Branche und nehmen Leute für die Zeit der Dreharbeiten unter Vertrag“, erklärt Pridnig: „In unserem Fall sind es befristete Verträge, die im Schnitt fünf bis sechs Wochen gelten. Derzeit muss ich einen befristeten Vertrag bis zum Ende auszahlen, auch wenn ich aufgrund von Corona für drei Wochen die Dreharbeiten unterbrechen muss.“
Eine Möglichkeit zur veränderten, Corona-bedingten Vorgangsweise sieht Pridnig im Vorbild der Schweiz, wo Kollektivverträge geschaffen wurden, in denen die Erfüllung eines Vertrages aufgehoben wird, sollte eine neue Corona-Krise ausbrechen. Der Vertrag setzt ab dem Zeitpunkt wieder ein, wo weitergearbeitet werden kann.
Küssen oder nicht
Aber wie kann nun tatsächlich in Zeiten des Abstandhaltens und des Mundschutzes gedreht werden?
Was passiert mit den berühmten Kussszenen? Dürfen die tatsächlich nicht mehr stattfinden?
„Es ist völliger Humbug, dass man keine Liebesszenen mehr spielen kann“, schnaubt Schalko: „Wenn die betroffenen Schauspieler getestet sind – warum sollten sie keine Liebesszene spielen können? Das ist völlig unlogisch.“
Tommy Pridnig sieht das ähnlich: „Konkret geht es um mittel- und langfristige Perspektiven. Wir versuchen, einen allgemeinen Leitfaden für das ,Drehen in der Krise‘ zu entwickeln.“
Wie auch in jeder anderen Branche brauche man dazu taugliche Sicherheitskonzepte – von der Schutzmaske bis hin zu einem genauen Ablaufplan, der festlegt: „Unter welchen Bedingungen können wir was machen? Wie lange dauert es, und was wird es kosten?“
Es müsse eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die Schutzkleidung für alle Dreharbeiten zur Verfügung stelle. Jede Budgetkalkulation müsse die Testung der Mitarbeiter vorsehen. Und man müsse Mechanismen entwickeln, die bei allen Projekten greifen: „Ich teste meine Hauptdarsteller und schaffe für die Zeit des Drehs ein Umfeld, das sicher ist, damit sich niemand ansteckt. Kussszene ja oder nein – wenn die beiden Hauptdarsteller nachweislich gesund sind und isoliert arbeiten, spricht überhaupt nicht dagegen. In anderen Branchen passiert das genauso. Beim Fußball werden auch alle getestet.“
Natürlich sei das aufwendig und mühsam, räumt Tommy Pridnig ein. Aber es sei auch eine kreative Herausforderung: „Wir müssen so schnell wie möglich wieder ins Drehen kommen. Und das ist etwas, wo alle Filmschaffenden und Filmhersteller am selben Strang ziehen.“
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