Ja, König Boris fährt in seiner Heimatstadt immer Bus oder U-Bahn, kann dabei gut die Menschen beobachten. Vielleicht hat er deshalb das neue Solo-Album „Disneyland After Dark“ Hamburg und seinen Bewohnern gewidmet. Die Idee dazu stammt aus der Corona-Zeit, als er durch leere Straßen flanierte. „Ich kam an Plätze, die ich gut kannte, und an welche, die ich nicht kannte“, erklärt er. „Irgendwie hat diese Abwesenheit von Menschen das Leben an diesen Orten vor meinen Augen sehr lebendig werden lassen. Mir fielen immer mehr Ideen für Songs darüber ein. Vieles habe ich selbst erlebt, manches gehört und sehr wenig habe ich mir ausgedacht.“
Tristesse der Einsamkeit
Vom Sound her hat Lauterbach „Disneyland After Dark“ beim club-lastigen UK-Garage der frühen 90er-Jahre angesiedelt, klingt hier mehr nach The Streets als nach Fettes Brot. Die Abgrenzung zu seinem Trio ist in den Texten aber noch drastischer: Humor und ungenierter Spaß blitzen nur punktweise auf. Vieles ist sozialkritisch, Drogen- und Alkoholsüchtige bevölkern dieses Hamburger Disneyland, es gibt Prügeleien, die Tristesse der Einsamkeit, Sex statt Liebe.
Am Ende des Albums hat man den Eindruck, Lauterbach hasst die Stadt. „Nein, ich liebe sie. Aber ich sehe auch die düsteren Seiten, das Schmutzige, das zum Vorschein kommt, wenn das Licht auf die weniger beleuchteten Ecken lenkt. Es ist spannender, darüber zu schreiben als über die Hochglanzgeschichten. Ich blicke hinter die glitzernden Fassaden, die alle aufrechtzuerhalten versuchen.“
Ein Thema, das Lauterbach in mehreren Songs anspricht, ist die Gentrifizierung. Da bekommen die explodierten Kosten der Elbphilharmonie genauso Seitenhiebe ab wie Investoren und die Stadtregierung. „Es ist fast unmöglich geworden, in Hamburg eine bezahlbare Wohnung zu finden. Man sieht das auch an eurem René Benko und an unserem Elbtower: Keiner weiß, ob der je fertiggebaut wird. Denn der Gigantomanismus von Investoren endet gerne mal anders, als versprochen.“
Das Sterben der Clubs
Damit einher geht das Club-Sterben: „Die durchgeravten Nächte im Wagenbau unter der Sternenbrücke gibt es nicht mehr, weil die Brücke abgerissen wird. Und der Molotow-Club muss aus seinem Lokal raus, weil dort ein Hotel hingebaut wird. Und ich weiß nicht, ob die adäquaten Ersatz bekommen.“ Er sei kein Bewahrer, sagt Lauterbach. „Ich fürchte aber, die Politik ist sich nicht im Klaren über den Wert von Kultur und Subkultur: Wenn es die nicht mehr gibt, ist die Stadt bald so langweilig, dass keiner mehr hier wohnen oder auf Besuch kommen will. Dann braucht man auch keine Hotels mehr.“
Diese Thematik trifft Lauterbach und seine Freunde auch ganz direkt: Vor einigen Jahren wurde das Gebäude vom Verein Viva La Bernie, in dem Fettes Brot ihr Studio haben, an einen Investor verkauft. Mittlerweile haben die über 100 Kulturschaffenden erreicht, dass sie das Haus zurückkaufen können. Aber: „Uns fehlen dazu drei Millionen Euro, mal sehen wie wir das schaffen.“
Ihr Studio wollen Fettes Brot auch nach dem Ende der Band behalten – für Soloprojekte, aber auch etwaige gemeinsame Aktivitäten. „Wir sehen einander jetzt viel öfter, als man vermuten würde, weil wir denselben Freundeskreis haben“, sagt Lauterbach. „Jetzt ganz ohne Verpflichtung, was sehr schön ist. Aber vielleicht machen wir ja bald ein Livealbum oder ein Streaming-Projekt. Denn es gibt tolle Aufnahmen von den letzten Konzerten!“
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