All das erzählt Giuseppe Verdi in seiner letzten (so genialen!) Oper. Und all das versucht auch Marthaler im Großen Salzburger Festspielhaus. Nur: Wer dieses Werk nicht präzise kennt und wer sich nicht noch präziser vorbereitet hat, also das Programmheft genau studierte, wird davon kaum etwas oder - wahrscheinlicher - gar nichts kapieren. Was man auf der Bühne sieht, ist ein einziges Missverständnis. Und es macht aus dieser traurigen, lustigen, beneidenswert-bemitleidenswerten Figur, aus dieser berührenden Geschichte ein Nichts, das verpufft. So schade.
Marthaler erzählt nicht Verdis "Falstaff", sondern er erzählt von den Dreharbeiten von Orson Welles, der 1965 einen "Falstaff"-Film herausgebracht hat. Shakespeare lag Welles immer am Herzen, am Theater und im Kino, deshalb hat er auch "Otello" und "Macbeth" auf die Leinwand gebracht.
In "Falstaff - Chimes of Midnight" spielt er selbst die zentrale Figur. Marthaler zeigt, wie Welles (in Salzburg dargestellt von Marc Bodnar) den Film realisiert und dabei die Identität seines Titelhelden annimmt und diesen verdrängt. Es dreht sich alles um das Gegensatzpaar Realität/Fiktion, um das Ich in unterschiedlichsten Formen. Welles ist es sogar, der am Ende des zweiten Aktes ins Wasser gestoßen wird, nicht Falstaff selbst. Und beim Finale, bei der Schlussfuge, zieht Welles in Rüstung traurig über die Bühne und stimmt sogar das "Tutti Gabbati" an.
Schöne Idee das Ganze, superkreativ und innovativ. Aber die Ausführung funktioniert so auf der Bühne nicht, weil sie dem Werk Tempo, Humor, Dramatik und Dramaturgie nimmt. Einzig das Chaos bleibt, wie es ja bei Dreharbeiten üblich ist.
Man sieht als Besucher, wie Welles mit dickem Bauch (im Gegensatz zum echten Falstaff) alle herumkommandiert, wie er Whisky säuft und Zigarren raucht. Die dutzendköpfige Filmcrew ist lustig, vor allem sein Assistent (Joaquin Abella) und eine Set-Runnerin (Liliana Benini) sind es. Die Opernfiguren bleiben alle unterbelichtet, es fehlt der Fokus auf sie. Auch deshalb, weil die Bühne (von Anna Viebrock) dreigeteilt ist und das die Geschichte völlig zerreißt.
Ein großer Regisseur (und das ist Christoph Marthaler zweifellos) hat sich verlaufen, kann passieren, wenn man hohes Risiko nimmt. Die Selbstreflexionen funktionieren in dieser Form gar nicht und sind opernuntauglich. Auch die Marthaler'sche Langsamkeit passt nicht zu "Falstaff".
Leider ist aber auch das Dirigat von Ingo Metzmacher problematisch. Er reduziert die Partitur auf die Essenz, kocht so lange ein, bis kaum noch etwas da ist. Ja, manches schmeckt dann gut bzw. klingt schön. Aber die Kraft dieses Werkes, die prachtvollen Farben, der Witz, die Weisheit - all das gibt es bestenfalls im Ansatz. Und zwischendurch wackelt es gehörig. Die Wiener Philharmoniker haben "Falstaff" schon unter so vielen Dirigenten so wunderbar gespielt - das ist eine der schwächsten Aufführungen. Diese minimalistischer Lesart ist für das Große Festspielhaus nicht geeignet.
Gerald Finley, der Falstaff, ließ sich als an Laryngitis erkrankt ansagen, man hörte aber gar nicht, dass er krank ist. Er ist ein nobel tönender Ritter mit recht kleiner Stimme und wenig Dramatik für diese Partie. Simon Keenlyside als sein Gegenspieler Ford fehlt es auch etwas an Kraft, Bogdan Volkov ist ein erstklassiger Fenton, Thomas Ebenstein ein schriller Dr. Cajus, Michael Colvin ein komödiantischer Bardolfo und Jens Larsen als Pistola sängerisch idealbesetzt.
Die Damen sind allesamt gut, am besten sind Giulia Semenzato als zarte, elegante Nannetta und Tanja Ariana Baumgartner als mächtige, toll intonierende Mrs. Quickly. Aber auch Elena Stikhina als Alice Ford mit sehr schön geführtem Sopran und Cecilia Molinari als Meg Page sind sowohl solistisch als auch in den Ensembleszenen famos.
"Falstaff" ist bei den Festspielen als Produktion baden gegangen, auch wenn der Ritter selbst gar nicht nass wurde. Das Publikum quittierte das mit höflichem Applaus für die Sänger, Buhs für die Regie und rascher Abwanderung.
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