„In der Regel muss man tot sein, damit der Spiegel so etwas Nettes über einen druckt“, ätzt Moreno im Buch: „Also, was hatte ich getan? Ich hatte herausgefunden, gegen massiven Widerstand im Spiegel, dass der mit Preisen überschüttete Spiegel-Reporter Claas Relotius ein Fälscher war.“
Massiver Widerstand? Um diese Behauptung einordnen zu können, muss man wissen, dass Moreno zwar jahrelang als Autor für das Magazin tätig war und in alle Welt reiste, allerdings keine Festanstellung hatte – sein Beschäftigungsverhältnis wäre von heute auf morgen kündbar gewesen. Relotius hingegen, der mit über 40 Preisen überhäufte Reportagestar, war nicht nur angestellt, sondern stand zum Zeitpunkt des journalistischen Disputs kurz vor der Beförderung zum Ressortleiter – wäre er am Ende nicht über seine Lügen gestolpert, wäre er am Ende des Konflikts als Morenos Chef dagestanden.
Wie gut seriöse Spiegel-Reporter schreiben, lässt sich in „Tausend Zeilen Lüge“ nachprüfen: Die Geschichte des spanischstämmigen Freelancers, der seinen jüngeren Star-Kollegen zur Strecke bringt, obwohl im kein Vorgesetzter Vertrauen schenkt, ist ein atemberaubender Krimi aus Fakten, Recherchen und Anekdoten.
Faszinierend bleibt bis zum Schluss der Grund für die kriminellen Umtriebe des Ex-Spiegel-Mitarbeiters: Relotius sei eben kein Reporter, sondern ein Fälscher, ein notorischer Lügner, der stets wusste, wie er sein Gegenüber packen sollte. Moreno spricht von einer Technik des „Spiegelns“ (keine Pointe), mit der er stets die Position seines Gegenübers genauso einnahm, wie es Nähe suggerierte. Bizarrstes Detail: Einzelkind Relotius erfand in einem Einstellungsgespräch eine krebskranke Schwester.
Hart ins Gericht geht Moreno mit seinen ehemaligen Vorgesetzten Matthias Geyer und Ullrich Fichtner, die ihm Neid unterstellten und ihn massiv unter Druck setzten. Der darob verzweifelte Reporter reiste nach
Amerika, um angebliche Gesprächspartner von Relotius zu treffen, die ihm auf Video bestätigten, sie hätten den Mann noch nie getroffen – allein: Man glaubte ihm im Verlag immer noch nicht. Als das Kartenhaus zusammenstürzte, folgte ein Einzeiler per E-Mail, dass er recht habe.
Die beiden Vorgesetzten fielen weich: Sie wurden mit Sonderaufgaben betreut, dabei hätte ihnen laut Moreno früh auffallen müssen, dass mit dem angeblichen Goldjungen etwas nicht stimmen könne. „Hätten Matthias Geyer oder Ullrich Fichtner kurz im Internet den Namen ,Claas Relotius‘ gegoogelt, hätten sie bemerkt, dass er ein paar Monate zuvor ein Problem mit
NZZ Folio gehabt hatte. Die Schweizer hatten die Zusammenarbeit mit ihm beendet.“
Der Spiegel legte im Mai eine schonungslose Dokumentation über den Fall Relotius vor. Als wichtige Ergänzung folgt nun die Stimme jenes Reporters, der den Fall aufdeckte – ohne Fallnetz mit Aussicht auf „Sonderaufgaben“ im Haus.
Das Buch beschreibt der neue Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann im eigenen Medium so: „Juan Moreno hat versprochen, dass wir ,Tausend Zeilen Lüge‘ nicht mögen würden, dass sein Buch aber keine Abrechnung werde. Er hat Wort gehalten.“
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