"Extrem teures Gift": Die Volltrottel-Mörder im Dienste Putins
Ian Fleming hätte vielleicht seine Freude gehabt mit dem Variantenreichtum der russischen Agenten. Die mutige Anna Politkowskaja hat man erschossen – just an Wladimir Putins Geburtstag. Eine Nachbarin fand sie tot im Lift. Alexej Nawalny wurde mit Nowitschok vergiftet (er überlebte), Alexander Litwinenko Jahre zuvor, am 1. November 2006, in London mit Polonium 210. Dieses ist zwar am freien Markt extrem teuer, aber wenn man beste Verbindungen zu russischen Atomkraftwerken hat ...
Über die Ermordung von Litwinenko – er arbeitete für den KGB, der zum FSB wurde, und lief geläutert zum MI6 über – veröffentlichte Luke Harding 2016 das Sachbuch „A Very Expensive Poison“, in der Folge verarbeitete Lucy Prebble den Stoff zum Stück.
Um die Rekonstruktion der Ereignisse mit britischem Humor zu würzen, nahm sie es mit den Fakten nicht ganz so genau. Im Burgtheater-Magazin erklärt Harding, dass die Ärzte erst Stunden vor dem Tod Litwinenkos (mehr als drei Wochen nach der Vergiftung) das Polonium im Urin entdeckt hätten. In der deutschsprachigen Erstaufführung „Extrem teures Gift“ hingegen, die am Samstag im Kasino stattfand (Synchronisation im Stil Wenzel Lüdecke), bereits am zwölften Tag.
Dr. Gent macht dem Todgeweihten keine Hoffnungen, er ist vielmehr überrascht, doch noch mit ihm sprechen zu können. Die Überraschung wird noch viel größer: Daniel Jesch beteiligt sich frisch und munter an den Recherchen des Scotland-Yard-Inspektors.
Harding erklärt zudem, dass es sich beim Stück, erzählt aus der Perspektive der Witwe (Sophie von Kessel), „eigentlich“ auch um eine Liebesgeschichte handle. Davon spürt man recht wenig.
„Eigentlich“ hätte Rikki Henry, dessen „Hamlet“ den Nestroy gewonnen hat, inszenieren sollen. Doch drei Wochen vor der Premiere, „eigentlich“ für den 26. November angesetzt, übernahm Direktor Martin Kušej die „szenische Einrichtung“ – aus „künstlerischen“ oder „konzeptionellen Gründen“. Er verzichtete auf die Bühne und die Kostüme von Emma Bailey, die Komposition von Max Perryment, die Choreografie von Gail Skrela (was das alles gekostet haben mag?) und stemmte den zweistündigen Abend quasi im Alleingang.
Rund um einen Tisch aus Tischen läuft ein gediegener Kušej-Thriller mit extrem langen Blackouts zwischen den Kurzszenen ab. Der Fortgang ist absehbar, Dietmar König dominiert als allgegenwärtiger Putin, für Unterhaltung sorgen die eitlen Volltrottel-Mörder (Tim Werths und Johannes Zirner), der eine träumt gar von einer Karriere als Pornostar. Zum Schluss gab es Standing Ovations – für Marina Litwinenko, die echte Witwe.
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