Song Contest im ORF: "Werden Radau keinen freien Lauf lassen"

Plakat mit dem Schriftzug „Eurovision Song Contest Vienna 2026“ und dem Motto „United by Music“.
Der ORF hat schon Kriseninterventionsteams beauftragt, damit Anti-Israel-Protest beim Song Contest nicht eskaliert. Heute entscheidet sich, ob Island und Polen auch noch zurücktreten.

Die Illusion, dass der Eurovision Song Contest (ESC) eine unpolitische Veranstaltung sein kann, ist bereits vor zwei Jahren geplatzt. Damals war die Teilnahme Israels – nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober und dem anschließenden Krieg in Gaza – zum ersten Mal im Fokus heftiger Ablehnung gewisser Kreise gestanden. Der ORF, der das Event im kommenden Jahr austragen wird, ist sich der Brisanz der Veranstaltung bewusst. Das wurde am Dienstag im Rahmen eines ORF-ZiB-Talks klar, als ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz erzählte, dass es bereits Arbeitsgruppen mit Sicherheitsexperten und Kriseninterventionsteams gibt. 

Man werde "Radau keinen freien Lauf lassen", sagte sie. Dem Einwand von Musikwissenschafterin und Friedensaktivistin Isabel Frey, dass man auch Protestierenden - also Buhrufern während des israelischen Beitrags -  Gehör verschaffen müsse, konterte Groiss-Horowitz damit, dass es sich immer noch um eine Unterhaltungssendung handle. Und wenn "die ganze Halle pfeift und nur drei klatschen haben wir eine andere Situation, als wenn eine kleine Gruppe schreit und der Großteil der Halle nicht – dann wird das, was man hört, schon eine redaktionelle Entscheidung sein, wie sie bei Livesendungen üblich sind."

Letzte Chance für Rücktritt

In der Vorwoche war die Entscheidung gefallen, dass Israel beim Eurovision Song Contest 2026 mitmachen darf. Dem war eine Abstimmung der Mitglieder der European Broadcasting Union (EBU) über ein neues Regelwerk vorangegangen, die eine direkte Abstimmung über die Teilnahme nicht mehr nötig machte. Allerdings hatten als Reaktion darauf Spanien, Niederlande, Slowenien und Irland bekannt gegeben, dass sie deswegen nicht am Bewerb teilnehmen. Noch heute wird sich entscheiden, ob auch andere Länder sich dem Boykott anschließen. Island und Polen standen noch an der Kippe: Islands Kulturminister Logi Einarsson hatte im Vorfeld gesagt, er fände es "bedauerlich", wenn Island teilnehmen würde. Polen hat seine eigentlich klare Zusage kürzlich wieder relativiert, ein kurzfristiger Rückzug wäre denkbar. Heute ist der letzte Tag, an dem Sender ihren Rücktritt melden können. 

Kritische Stimmen

In der ORF-Diskussion wurde daran erinnert, dass ein Fernbleiben keine ganz neue Erfindung ist: Auch Österreich hat, wenn auch nicht explizit so kommuniziert, 1969 nicht teilgenommen, weil der Wettbewerb in Spanien – damals Franco-Diktatur – stattgefunden hat.  Kritiker wie Isabel Frey werfen Israel vor, dass der Song Contest zuletzt als Propaganda-Plattform instrumentalisiert wurde. Ariel Muzicant, Interimspräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, erwiderte darauf, dass die aktuelle Debatte durch Propaganda der anderen Seite befeuert wird: ""Katar, Türkei, palästinensische Organisationen stecken viel Geld in Werbekampagnen, dass Israel als Kriegsverbrecher gesehen wird." Auf Muzicants beständigen Hinweis, dass nicht der Staat Israel, sondern der unabhängige – und in seiner Unabhängigkeit durch die Netanyahu-Regierung gefährdete – TV-Sender Kan vom Song Contest hätte ausgeschlossen werden sollen, konterte Frey, dass israelische Künstler selbst Kulturveranstaltungen für Protest gegen die Regierung verwenden würden, etwa die Kunstbiennale. Was Muzicant wiederum betonen ließ, dass es also in Israel kritische Stimmen gebe, dass es jeden Samstag Demonstrationen gebe, dass in wenigen Wochen Wahlen wären – "und dieses Volk wollen sie mit einem Ausschluss noch bestrafen?"

EBU ist nicht das Völkerrecht

Nicht nur deshalb wollte auch Groiss-Horowitz einen Vergleich mit dem ebenfalls ausgeschlossenen Russland nicht akzeptieren, bzw. der russischen Sender, die die Politik Putins "klar mittragen". Man könne nicht das Völkerrecht als Grundlage für die EBU bzw. für den Song Contest anwenden: "Sonst müsste man die Ukraine auch ausschließen." Die Lösung, die der Senderverband gefunden habe, sei vernünftig. Die "Geschwindigkeit, mit der dieses Problem groß geworden ist, hat alle ein bisschen überfordert. Da ist es gut, einmal Dampf rauszulassen." Und hätte man über Israel "mit einer platten Ja/Nein-Frage" abgestimmt, würden sich in den kommenden Jahren immer wieder neue Gründe auch für andere Länder finden.

Eine Zukunftsvision hat Isabel Frey für den ESC: dass Palästina als Teilnehmerland anritt. Groiss-Horowitz sah zurück in die Vergangenheit: "Den Song Contest gibt es seit 70 Jahren, er hat schon viele Krisen in Europa gesehen, da war der ESC auch manchmal wackelig. Wenn wir schon damals alles mit Social Media diskutiert hätten wie heute, wäre man vielleicht da schon zum Schluss gekommen, das geht sich nicht mehr aus." 

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