Erster Blick: Handkes "Immer noch Sturm"

Erster Blick: Handkes "Immer noch Sturm"
Dimiter Gotscheff probt Peter Handkes Kärntner Partisanenstück "Immer noch Sturm" bei den Salzburger Festspielen.

Es regnet grüne Blätter. Stundenlang. Ununterbrochen. Sonst ist die Bühne weitgehend leer. Die Idylle, die Heide, der Apfelbaum sind Andeutungen. Musik gibt es. Und Versatzstücke. Wie den Hut des Großvaters.

Dimiter Gotscheff probt Peter Handkes "Immer noch Sturm" am Hamburger Thalia Theater.
Nachdem eine Uraufführung durch Claus Peymann wegen "unterschiedlicher Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung" nicht zustande gekommen war, legte der Autor sein Werk in die Hände des bulgarischen Regisseurs.

Der zeigt das Kärntner Partisanenstück nun in Kooperation mit den Hamburgern bei den Salzburger Festspielen. Und ab Oktober am Burgtheater.

Besuch

Gotscheff, der Heiner-Müller-Intimus, der, wie er sagt, "dessen Texte immer noch in den Gedärmen rumoren fühlt", besuchte Handke in Paris. Einen Nachmittag und eine Nacht lang haben die beiden gesprochen, formuliert und sind übereingekommen. Gotscheff gerührt von der Gastfreundlichkeit, der Wärme und der Zugänglichkeit des schwierigen Schriftstellers, Handke angetan von Gotscheffs Verständnis für seine Arbeit - der Theatermacher weiß, wie sich der Verlust von Vaterland und Muttersprache anfühlt ...

"Immer noch Sturm" ist Handkes persönlichstes Werk. Auf dem Jaunfeld trifft er als Erzähler-"Ich" auf seine Großeltern, Mutter, drei Onkeln, Tante und verquickt über sie Familiengeschichte mit der der Partisanenkämpfe der Kärntner Slowenen gegen die Nationalsozialisten. Das liest sich schon wie ein Theaterstück, ein Stück Prosa in Monologen und Regieanweisungen.

"Stimmt. Das ,Kamera ab!' ist von Handke vorgegeben", sagt Beate Heine vom Thalia Theater, die mit Gotscheff die
Bühnenfassung erarbeitet hat. "Wir mussten ,nur noch' eine theatertaugliche Version für seine epische Erzählform finden, mussten dafür sorgen, dass die Familienstrukturen und die Beziehungen der Figuren untereinander trotz der monologisierenden Form auf der Bühne sichtbar werden."

Aneignung

"Es ist spannend zu beobachten, wie wir uns gemeinsam Handke aneignen", so Heine. "Gotscheff hat kein ,Konzept', er entwickelt mit den Schauspielern. Er hat da eine sehr eigene Herangehensweise. Er beschreibt Stimmungen, eine Atmosphäre, eine Energie. Er will Töne vermitteln. Er sucht das, was aus dem Bauch kommt."
Nachsatz: "Und er weiß sehr genau, was er will."

Sehr genau setzt man sich an der Alster auch mit Kärnten und seiner Geschichte auseinander. Sieht Dokus über den Partisanenkrieg, beschäftigte sich sogar mit dem Ortstafelstreit. Man will die Brisanz, die das Thema für Österreich hat, verstehen. In und um die Hansestadt gibt es nichts Vergleichbares. Eine wohlsituierte dänische Minderheit. Aber nicht diese Zerrissenheit, nicht diesen Wunsch nach Angenommen-Werden, der bis heute unerfüllt ist.

Sprache, Identität über Sprache ist eines der großen Themen des Werkes. Ständig wechselt der Tonfall. Von Hochdeutsch zu Kärntner Dialekt zu Slowenisch. Von Alltag zu Verlautbarung.

Und das Österreichische? Im Buch lässt Handke über den Unterschied von Káffe und Kaffee lästern, über den von Geschirrschrank und Kredenz. Und über den von "Bleibe" und "Heimat". Darüber haben die Hamburger diskutiert. Und die Stellen schließlich im Stück gelassen. Da darf man sich nicht angegriffen fühlen. Dann kommen in Deutschland halt nur
Blümchen aus dem Kännchen ... Na und?

Der Text: Geschichte in einer Kiste im Keller

"Still Storm", "Immer noch Sturm", schrieb Shakespeare über die Szene, in der König Lear Donner und Blitz anfleht, sie mögen seine undankbaren Erbinnen vernichten. Peter Handke nannte sein Stück danach.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Autor seine Familiengeschichte verarbeitet. Er tat es in "Wunschloses Unglück" 1972, in "Über die Dörfer" (1981) oder 2008 in "Die morawische Nacht". Für den 2010 bei Suhrkamp erschienen Text hat er "neues Material" in die Hände bekommen. Familiendokumente, Feldpostbriefe, Fotos, Urkunden. Von seinem im Vorjahr mit 92 Jahren verstorbenen Onkel Georg "Jure" Siutz in einer Kiste im Keller aufbewahrt. Onkel Jure war Handke nicht sympathisch. Er war ein kalter Mensch. Und FPÖ-Abgeordneter. Aber derjenige der drei Siutz-Brüder, der den Krieg überlebte; Hans und Gregor fielen 1943.

Traum Der Fund im Keller ist die Basis des Buchs. Handkes "Ich" holt sich in einer Art Traum sieben Verwandte herbei, mit denen er die Familiengeschichte und die Kärntens ab 1936 Revue passieren lässt. Er erzählt von der Unterdrückung der slowenischen Minderheit, ihrem Partisanenkampf gegen das Dritte Reich - und letztlich vom lächerlichen Ortstafelstreit.

Dabei mischt sich Fakt mit Fiktion. Onkel Gregor darf zu den Partisanen überlaufen und überleben; Tante Ursula wird von den Nazis zu Tode gefoltert; Handkes Mutter begibt sich auf der Suche nach seinem Vater ins Feindesland Deutschland.

Der Freiheitskampf der Kärntner Slowenen gilt Historikern heute als bedeutendste Widerstandsbewegung im "angeschlossenen" Österreich. Er war der einzige kontinuierliche, organisierte und bewaffnete Widerstand gegen die NS-Diktatur in Österreich.
Viel gebracht hat den Slowenen ihr Mut (noch) nicht. "Literatur", sagte Peter Handke in einem ORF -Interview, "ist die Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen."

Produktion: Die Daten und Fakten

Regisseur: Dimiter Gotscheff, 1943 in Bulgarien geboren, kam 1962 mit seinem Vater in die DDR. Gottscheff studierte wurde bald Schüler und Mitarbeiter von Benno Besson, erst am Deutschen Theater, dann an der Volksbühne. 1979 ging Gotscheff wegen der Ausbürgerung Wolf Biermanns nach Bulgarien zurück; seit Mitte der 1980er- Jahre arbeitet er wieder an deutschsprachigen Bühnen von Wien bis Hamburg. Berühmt sind u. a. seine "Philoktet"-Inszenierung in Sofia 1983 und sein "Iwanow", mit dem er 2006 von Theater heute und beim Berliner Theatertreffen ausgezeichnet wurde. Heuer erhielt Gotscheff den Theaterpreis Berlin.

Inszenierung: In "Immer noch Sturm" spielen u. a. Jens Harzer (Ich), Oda Thormeyer, Tilo Werner, Bibiana Beglau und Gabriela Maria Schmeide. Premiere in Salzburg ist am 12. August, am Burgtheater am 3. Oktober.

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