"Ernst nehm’ ich nichts mehr"

APAKMA05 - 29022008 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Der Architekt Gustav Peichl im Interview mit der Austria Presse Agentur, am Donnerstag, 28. Februar 2008, in Wien. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Gustav Peichl – Architekt, Karikaturist und auch mit 85 ein scharfer Beobachter

Zufrieden war ich nie. Glück hatte ich immer“, sagt Gustav Peichl. „In entscheidenden Lebensphasen war mir das Glück in Form von äußeren Einflüssen immer hold.“

Schon als die allererste politische Karikatur des Ironimus am 9. Oktober 1949 im KURIER erschien. Der hieß damals noch Neuer Kurier. Und Chefredakteur war ein Amerikaner.

Als politischer Karikaturist hat Peichl – er feiert am 15. März seinen 85. Geburtstag – elf Bundeskanzler erlebt und eine einzigartige, weil lückenlose Chronik der Zweiten Republik gezeichnet.

Von Figl bis Faymann: Seine Arbeiten aus sieben Jahrzehnten zeigt derzeit das Karikaturmuseum Krems: „Ironimus – Die Qual der Wahl“ (bis 1. September).

Zeichnen als Sucht

Für Peichl sind die Karikaturisten die wahren Aufdecker, die Sichtbarmacher: „Verteidigungsminister Norbert Darabos ist der einzige Politiker, der sich bei mir immer beschwert über meine Karikaturen. Bruno Kreisky hingegen war dankbar für jede Karikatur. Egal, ob sie gut oder schlecht war. Er wusste mit seiner Intelligenz, dass sie ihm nützt.“

Im Mai wird ein Gustav-Peichl-Archiv in der Akademie der Künste in Berlin eröffnet. „Eine halbe Autobiografie“ (Peichl) ist „Der Doppelgänger“ (Böhlau Verlag): „Da stehen nach Recherchen von Robert Fleck Sachen drin, die ich selber gar nicht wusste. Wo ich mich nur sehr wundere über mich selber.“

Vom Vorkriegswien führt die Zeitreise in die Wiederaufbaujahre, als er auf Secessionsfesten noch Josef Hoffmann begegnete: „Ich habe ihm wegen des häufig in seinen Werken wiederkehrendes Motivs den Spitznamen ,Quadratl-Hoffmann‘ gegeben. Ein toller Mann. Großartig ist allein schon sein Palais Stoclet.“

Ein Glücksfall

Von Peichl gibt’s 18 Bauten und Projekte in Deutschland: „In Österreich viel weniger.“ Der Entwurf für die ORF-Landesstudios war sein Durchbruch. „Da kamen die Leute von Amerika und Japan. Und man holte mich nach Harvard“, sagt Peichl.

Neben der Phosphateliminierungsanlage Berlin-Tegel war auch die Bundeskunsthalle in Bonn von 1992 ein Hit. Ein Glücksfall.

„Denn es gibt ja bei Bauherren immer die Wisser und die Besserwisser, und die schlimmeren sind die Besserwisser“, so Peichl. „Aber Helmut Kohl war ein fundierter Besserwisser mit Durchsetzungskraft.“

Dem scharfen Beobachter missfällt, dass „es in Wien keine Städteplanung gibt. Normal wäre eine Widmung der MA 18. Aber jetzt diktieren die Investoren, was wer wo wie hoch und breit baut. Das ist heute der Städtebau in Wien.“ So sieht’s auch aus.

Wien kaputt

Bahnhof Wien-Mitte? „Fürchterlich“, so Peichl. „Ich gehe da gar nicht mehr hin, weil ich mich so sehr ärgere. Da ist jeder vernünftige Maßstab verloren gegangen.“

Der neue Westbahnhof? „Da mussten sie so modische hohe Formen bauen statt schöne Hallen wie in Leipzig oder Berlin, und dann funktioniert’s auch nicht.“

Die Wiener Innenstadt? „Sie hatte die schönste Dachlandschaft, die es je gab. Jetzt ist sie kaputt. Überall bauen Investoren alles zu. Schlimm ist nur: Die Stadt Wien hat alles erlaubt.“

Die besten Häuser seien jene schlechten, die nicht gebaut werden. Peichls Credo: Nicht modisch sein, sondern zeitlos. Modern, aber nicht modisch. „Wenn heute einer sagt: Ich baue für morgen, ist das okay. Aber er vergisst, dass das übermorgen schon wieder gestern sein wird.“

„Ehrgeiz habe ich heute keinen mehr“, sagt Peichl. „Und ernst nehm’ ich überhaupt nichts mehr.“

"Ernst nehm’ ich nichts mehr"
Peichl Cover
Gustav Peichl: „Der Doppelgänger“Aufgezeichnet von Robert Fleck. Böhlau Verlag. 200 Seiten.25,60 Euro.
KURIER-Wertung: **** von*****

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