Erinnerung an Ingmar Bergman: "Alt werden ist Arbeit"

Erinnerung an Ingmar Bergman: "Alt werden ist Arbeit"
Seine Tochter Linn Ullmann hat einen Roman über das Erwachsenwerden und Verschwinden geschrieben.

Der Name Ingmar Bergman kommt nicht vor. Man weiß, wer gemeint ist.
Der schwedische Regisseur ist einfach „der Papa“, und die Schauspielerin Liv Ullmann ist „Mama“ (Foto der beiden oben), und  sie selbst, die Tochter der beiden, ist  „das Mädchen“.
In Linn Ullmanns jetzt auf Deutsch erschienenem Roman „Die Unruhigen“ verschwindet ein alter Mensch. Stück für Stück.
Und da soll es nicht um eine Berühmtheit gehen ... hat man Ingmar Bergman gegoogelt, landete man 5,9 Millionen Treffer.
Der schwedische König schaffte bloß 830.000 ...
Es sollen bloß ein Vater und seine Tochter  im Mittelpunkt stehen:
Linn Ullmanns Versuch, Vater und Tochter in einem Buch sichtbar zu machen, als wären sie nur hier daheim. gelang.
Mehr noch, es wurde ein Meisterwerk  – von denen es 2018 schon einige gab (George Saunders’ „Lincoln im Bardo“, Michel Fabers „Buch der seltsamen neuen Dinge“ ...)

Linn Ullmann: Das neunte Kind Ingmar Bergmans. Das einzige aus der kurzen Beziehung mit der Norwegerin Liv Ullmann.
Mit Mama und schwedischen Kindermädchen übersiedelte sie vorübergehend nach Amerika, in die Nachbarschaft von Alice Cooper und Bette Davis.
Mutter war ein unruhiger Geist, Vater war ein unruhiger Geist, beide wurden von Linn geliebt, einzeln. Als „zwei verlorene Kinder“ würde sie ihre Eltern heute bezeichnen.
Die Ostsee-Insel Fårö, wo Ingmar Bergman ein 50 Meter langes Haus hatte und eine Scheune mit Kino, besuchte sie anfangs nur im Sommer.
Aus Linn Ullmann wurde eine bekannte Schriftstellerin, und aus dem Plan, gemeinsam mit Papa ein Buch über das Altwerden zu schreiben, wurde nichts.
Man hatte es sich vorgenommen, als erste Wörter verschwanden: Er wachelte mit den Händen – „Wie heißt das, was du im Auto anstellst, wenn es regnet und das hin und her fährt und  wusch wusch wusch macht.“
Scheibenwischer.
Man hatte es sich vorgenommen, weil er, sonst die Pünktlichkeit in Person, zu spät zum Treffen kam – es war ihm offenbar nicht bewusst.
Und damals fing sein Sterben an.

Als man dann erstmals das Diktiergerät auf den Tisch stellte, 2006, war er  88 und erinnerte sich schlecht und sah schlecht. Er wollte lieber Bach hören und Schuberts „Winterreise“ und Beethovens Konzert in G-Dur.
Wäre Vater ein Lied (schreibt Linn), müsste es Elemente von Blues und Country haben; auch wenn ihm diese Musik nicht gefiel.
Sechs Tonbandprotokolle gibt es. Sie wurden in den Roman – einen Soundtrack des Lebens –  eingewoben und machen ihn streckenweise zum Dokument. Dann hört man Ingmar Bergman:
„Alt werden ist Arbeit.“
Er meinte damit z.B. Schuhe anziehen, Zähne putzen.Ein anderes Mal ergänzte er: „Alt werden ist Arbeit mit sehr langen Arbeitszeiten.“
Und man hört ihn sagen (er war sehr dünn geworden): „Ich muss mir eine Schnur um die Taille binden, damit mir die Hose nicht herunterrutscht.„
Nachsatz: „Aber ich binde meine Schnur immerhin noch selber.“
Letztes Treffen mit laufendem Aufnahmegerät – wenige Monate später, im Juli 2007, war er tot.
Ingmar Berman fragt seine Tochter: „Wollen Sie ein Omelett?“
„Papa, ich bin es!“
Er aß schweigend weiter, den Kopf gesenkt.
Und es ist völlig egal, ob jemand berühmt ist.

 

Linn Ullmann:
„Die Unruhigen“
Übersetzt von
Paul Berf.
Luchterhand
Verlag.
416 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: *****

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