"Frauen machen das besser als Männer"
Eric Pleskow, Präsident der Viennale, ist berühmt für seine Eröffnungsreden. Sie sind politisch, prägnant, witzig – und kurz. Drei Jahre lang konnte Pleskow gesundheitsbedingt nicht reisen, doch nun ist er wieder in Wien – anlässlich der Viennale, die am Donnerstag eröffnet.
Pleskow wurde vor 91 Jahren in Wien geboren und im Alter von 19 von den Nazis vertrieben. In den USA machte er Karriere als Studiochef und schrieb Filmgeschichte. Er produzierte Meisterwerke – von "Apokalypse Now" bis zu "Das Schweigen der Lämmer" – und hat 14 Oscars. Ein Gespräch über Kino als Kunst.
KURIER: Herr Pleskow, wissen Sie schon, was Sie anlässlich der Viennale-Eröffnung sagen?
Eric Pleskow: Noch nicht, aber irgend etwas wird mir schon einfallen. Ich musste ja erst einmal die Wahlen abwarten. Und ich unterstütze die Regierung hier, denn ich halte die Lebensverhältnisse in Wien für vorzüglich. Aber Wiener sind Wiener – die raunzen.
Sie mussten Wien 1939 verlassen – was haben Sie heute für ein Verhältnis zu der Stadt?
Das Wien von damals gibt es für mich nicht mehr. Aber ich lebe nicht in der Vergangenheit. Gabi Flossmann (Kulturjournalistin, damals beim ORF, jetzt KURIER) hat mich überredet, wieder hierher zu kommen. Es gab eine neue Generation, und ich glaube nicht an Sippenhaftung. Die Tatsache, dass die Österreicher und die Deutschen sich besonders um die Flüchtlinge bemühen, hat zum Teil – vielleicht sogar unbewusst – mit der Vergangenheit zu. Als ich Flüchtling war, hat sich niemand um uns gekümmert, und wir waren froh, hier wegzukommen. Ich hoffe, dass das hier jetzt mit den Flüchtlingen gut geht.
Was muss Ihrer Meinung nach ein Filmfestival heute leisten?
Die Aufgabe ist natürlich, die Menschen zu unterhalten. Ein Filmfest wie das in Wien sollte hauptsächlich für die Bevölkerung da sein – und das macht Festivaldirektor Hans Hurch großartig.
"Frauen machen das besser als Männer"
Hurch wurde zwei Jahre verlängert, was auf Kritik stieß.
Es war mein ausdrücklicher Wunsch. Wir müssen ja auch einen Nachfolger finden, und das dauert. Ich hätte gerne, dass dann eine Frau das Festival übernimmt. Es gibt einige, die sehr passend für diesen Job sind. Ich finde, es wäre auch in Amerika gut, wenn eine Frau Präsidentin wird. Ich glaube, die machen das besser als die Männer.
Was halten Sie von Hollywoods Blockbuster-Kino, den ewigen Prequels und Sequels?
Ich empfinde es als eine Art von Bankrott. Aber es ist natürlich Geschäftssache: Filme heute haben meist sehr viele Spezialeffekte und sind hundsteuer. Ich selbst habe nie mehr als 20 Millionen Dollar für einen Film ausgegeben – nicht einmal für "Das Schweigen der Lämmer" und "Der mit dem Wolf tanzt" . Heute kostet das der Vorspann. Ich weiß noch, wie ich schlaflose Nächte verbrachte, als ich einem Schauspieler eine Million Dollar bezahlte. Das war James Caan – er war damals ein Star.
Jetzt beginnt die Oscar-Saison.
Ich bin Mitglied der Academy, und bis Dezember laufen alle Filme, die als Oscarreif gelten. Eine der wenigen Ausnahmen war "Das Schweigen der Lämmer" – das habe ich fast ein Jahr vor der Verleihung gestartet. Und zwar am Valentinstag – das war mein Humor. (grinst)
Sie und Ihre Firma haben die ersten Bond-Filme finanziert?
Ja, "Dr. No", "From Russia with Love", "Goldfinger"... bei den ersten sieben oder acht war ich dabei. Mein damaliger Chef war sehr mit John F. Kennedy befreundet: Kennedy las die Bond-Bücher zur Entspannung und hat ihm davon erzählt. Ich hatte nie von Ian Fleming gehört – und so kam das zustande. Ich erhielt dann sogar von der britischen Königin eine Einladung zum Nachtmahl. Das hat meine Schwiegermutter, die Engländerin war, sehr beeindruckt.
Sie haben auch viele europäische Filme mitfinanziert, von Fellini, Truffaut, Bertolucci...
Ja, Bertoluccis "Der letzte Tango in Paris" war ein großer Skandal. Zuerst haben sich alle wahnsinnig aufgeregt – wegen der Kirche und so weiter. Dann wurde der Film ein riesiges Geschäft und zum Kunstwerk erklärt. Und alles war wieder gut.
Warum gibt es dieses Verhältnis zwischen den USA und Europa nicht mehr?
Ich bin weder ganz Europäer noch ganz Amerikaner, aber ich konnte mit beiden. Heute haben die Leute teilweise keine Ahnung von Geografie. Die fragen: ,Vienna? Are you from Australia?’ Es ist unwahrscheinlich, wie dumm oft Menschen in großen Positionen sind. Unlängst habe ich mir durch Zufall ,Ninotschka" angesehen, von Ernst Lubitsch. Drehbuch von Billy Wilder und Walter Reisch, mit Felix Bressart – alles deutsche, österreichische Juden. Ein toller Film. Aber das ist alles vorbei. Leider.
Zur Person:
Eric Pleskow wurde am 24. April 1924 in eine jüdische Kaufmannsfamilie in Wien geboren. „Drei Tage vor Kriegsbeginn“ konnte er gerade noch die Stadt verlassen und in die USA emigrieren. Ab 1951 begann er, für das Filmstudio United Artists zu arbeiten und selbst Filme zu produzieren, ab 1973 war er der Präsident des Studios.
Unter seiner Ägide gelang es United Artists, drei Jahre hinter einander den Oscar für den besten Film zu bekommen: für „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975), „Rocky“ (1976) und „Der Stadtneurotiker“ (1977).
Im Jahr 1978 verließ Pleskow United Artists und gründete Orion Pictures, dessen Führung er bis 1992 innehatte. Zu seinen größten Erfolgen zählten dort „Amadeus“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „Das Schweigen der Lämmer“, „Platoon“ und „Terminator“. Seit 1998 ist Pleskow Präsident der Viennale. 2007 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt, 2009 erhielt er das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Viennale-Eröffnung:
Am Donnerstag eröffnet die 53. Viennale im Wiener Gartenbaukino mit Todd Haynes’ wunderschönem Liebesdrama „Carol“. Ab dann läuft (bis 5. November) das vielseitige Filmprogramm (siehe unten).
INFO: www.viennale.at
Unterschiedlicher könnten Auftakt und Schlusspunkt der 53. Viennale kaum sein: Mit Todd Haynes' großem Melodram "Carol" beginnt Österreichs größtes Filmfestival am Donnerstag (22.10.), mit der kleinen, feinen Stop-Motion-Fabel "Anomalisa" endet sie knapp zwei Wochen später. Das umfangreiche Programm dazwischen verhandelt gegenwärtige Krisen, und Stargast Tippi Hedren bringt einen Hauch Nostalgie.
So sehr die Viennale mangels weiteren Stargästen auch dieses Jahr auf Glamour verzichtet, so elegant fällt ihr Eröffnungsfilm aus. Visuell atemberaubend das New York der 50er-Jahre wieder aufleben lassend, ist "Carol" nur vordergründig ein opulentes Kostümdrama. Von bis heute nicht vollends aufgebrochenen Klassen- und Geschlechterkonventionen erzählte Patricia Highsmith in ihrem 1952 veröffentlichten Roman "Salz und sein Preis", der nun mit Cate Blanchett und Rooney Mara verfilmt wurde. Letztere erhielt als junge Verkäuferin Therese Belivet, die sich in die wohlhabende, in Scheidung lebende Carol Aird (Blanchett) verliebt, bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes hoch verdient den Darstellerpreis. Eine Oscar-Nominierung wird Nachwuchsstar Mara ebenso vorausgesagt wie der bereits dreifach prämierten Kostümdesignerin Sandy Powell ("Shakespeare in Love", "Aviator"), die zur Österreichpremiere im Gartenbaukino anreist.
War die USA vor 60 Jahren von wirtschaftlichem Aufschwung geprägt, ist sie heute von den Folgen der schweren Finanz- und Immobilienkrise gezeichnet. Ausgesprochen viele Produktionen im Hauptprogramm der Viennale erzählen mit durchaus zweifelndem, düsterem Blick von Krisen gebeutelten Regionen, sozialem Umbruch und den großen Herausforderungen unserer Zeit. Dokumentarfilme nehmen sich der Gentrifizierung an, die Schmelztiegel wie New Yorks Stadtviertel Jackson Heights gefährdet (Frederick Wisemans "In Jackson Heights") und einstige Industriehochburgen wie Detroit ("Detroit Overture") und Gary ("My Name is Gary") als Geisterstädte zurücklässt. Und Ramin Bahrani zeigt in "99 Homes" - top besetzt mit Andrew Garfield und Michael Shannon - das blühende, schmutzige Geschäft der Zwangsräumungen.
Die Brücke nach Europa schlägt der portugiesische Ausnahmeregisseur Miguel Gomes mit seiner bereits in Cannes bejubelten Trilogie "As mil e uma noites", in der er vor dem Hintergrund europäischer Starpolitik "1001 Nacht" ins portugiesische Heute überträgt. Auch die sich dramatisch zuspitzende Flüchtlingskrise schlägt sich im Programm wieder und wird im Rahmen des "Internationalfeiertags" am 26. Oktober im Gartenbaukino gar zum zentralen Thema auserkoren. Nehmen sich die österreichischen Regisseure Jakob Brossmann und Gerald Igor Hauzenberger mit "Lampedusa im Winter" und "Last Shelter" der aktuellen Dramatik an, stellen die Franzosen Jacques Audiard ("Dheepan") und Philippe Faucon ("Fatima") die Frage nach dem Danach: der Integration in der neuen, fremden Heimat.
Verkaufsschlager sind vorerst aber traditionell andere: Beim mit 42.000 abgesetzten Tickets erneut starken Vorverkaufsstart waren Karten für die großen "Gartenbau-Kracher" wie Woody Allens "Irrational Man", Yorgos Lanthimos' Groteske "The Lobster" oder den Sundance-Festival-Hit "Me and Earl and the Dying Girl" als erstes weg. Ausweichmöglichkeiten gibt es unter den knapp 300 Filmen in fünf Innenstadtkinos jedenfalls genug, wobei sich Spiel- und Dokumentarfilme heuer annähernd die Waage halten und Porträtdokus, Coming-of-Age-Dramen und US-Independentproduktionen gewohnt stark vertreten sind. US-Dokumentaristin Amy Berg stellt persönlich ihr Janis-Joplin-Porträt "Janis: Little Girl Blue", der israelische Regisseur Amos Gitai sein Drama "Rabin, The Last Day" vor. Ihr Kommen abgesagt haben indes US-Indie-Liebling Alex Ross Perry ("Queen of Earth") und Federico Veiroj, dem ein Spezialprogramm gewidmet ist.
Mit Stephan Richters "Einer von uns", der kürzlich im Nachwuchswettbewerb in San Sebastian lief, ist heuer nur ein heimischer Spielfilm neben sieben Dokus vertreten. Dafür hat die österreichische Avantgarde von Peter Tscherkassky über Siegfried A. Fruhauf bis Sasha Pirker die Kurzfilmsektion fest in ihrer Hand und steuert das Filmarchiv mit "Austrian Pulp" im neu eröffneten Metro Kinokulturhaus erstmals eine Retrospektive bei, die über die Festivaldauer hinausgeht. Seit 9. Oktober läuft die von Paul Poet kuratierte Schau zum heimischen Genre-Kino, der am 16. Oktober die nicht minder verspielte, traditionelle Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums gefolgt ist: Mit "Animals", einer 140 Filme umfassenden "Zoologie des Kinos", laden Filmmuseum und Viennale heuer auf eine tierische Entdeckungsreise von "King Kong" bis "Bambi".
Programmatisch mutet da der diesjährige Stargast der Viennale an: Während das Festival mit "Marnie" einen der größten Hitchcock-Klassiker in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Tippi Hedren am 29. Oktober als Gala präsentiert, gibt die heute 85-jährige Tierrechtsaktivistin am Folgetag im Rahmen von "Animals" auch eine Einführung zu ihrem Erfolgsdebüt "Die Vögel". Um die Zeit, als Hedren ihre kurze, aber dennoch kultige Karriere startete, war der gebürtige Wiener Eric Pleskow in Hollywood bereits mehr als umtriebig: Der Produzent zahlreicher Oscar-gekrönter Filme beehrt heuer nach drei Jahren Pause wegen gesundheitlicher Unpässlichkeit wieder jenes Festival, dem er als Präsident vorsteht. Und ist für Festivaldirektor Hans Hurch dementsprechend verdient "der wahre Star der Viennale".
INFO: www.viennale.at
Kommentare