Er ist kein Monster, sondern ein Mensch

Er ist kein Monster, sondern ein Mensch
Ein Film über einen Mann, der ein Kind im Keller eingesperrt hat. Fragt man Regisseur Markus Schleinzer, ob das ein Kampusch-Film ist, sagt er: "Nein".

Markus Schleinzer ist heiß, sehr heiß. Gerade kommt er mit dem Zug von der Innsbruck-Premiere seines Films "Michael", der kommenden Woche in Restösterreich anläuft. Draußen klebt die brütende Hitze am Fenster, drinnen, im Café Westend, bestellt Schleinzer Wasser, Eis - "und einen Ventilator". Der Kellner bringt tatsächlich einen. Schleinzer? Klingt nach Politik, nach ÖVP-Generalsekretär in den 70er-Jahren? Ja, das sei ein ferner Großgroßonkel von ihm gewesen, erzählt Markus Schleinzer. Davor habe man lange: "Nacklethal geheißen."
Der 39-Jährige hat im Mai die Sensation geschafft, mit seinem ersten Spielfilm im Wettbewerb von Cannes, dem wichtigsten Filmfestival der Welt, gezeigt zu werden.

Er ist kein Monster, sondern ein Mensch

Inzwischen ist "Michael" zu 40 Festivals eingeladen und in 18 Länder verkauft. Jahrelang war Schleinzer Schauspieler und Casting-Direktor im Erstberuf. Sein Lebenslauf liest sich daher wie das Who's Who des österreichischen Films: Kommissar Rex, der Oscar-Film "Die Fälscher", seit 1999 hat er alle Filme von Michael Haneke gecastet. Der hat ihn auch ermutigt, endlich einen eigenen zu machen: "in einer Drehpause von 'Das weiße Band'". Und so ernst sein Film "Michael" auch ist (Er handelt von einem Mann, der einen Buben entführt und im Keller eingesperrt hat), so viel Humor hat Schleinzer selbst. Daher die Frage:

KURIER: Wie sieht denn Ihr Keller aus?
Markus Schleinzer: (lacht auf) Gute Frage. Ich habe gar keinen Keller und auch keinen Dachboden. So was brauche ich nicht. Ich habe keine Stehleiter, und das Fahrrad steht im Regen. Ich bemühe mich, wenig Sachen zu haben.

Ihr Film "Michael" hat immer wieder Humor. Und das, obwohl es um Kindesmissbrauch geht. Darf man das?
Ich finde, es ist Lachen, das im Hals stecken bleibt. Den Humor, der mir immer wieder nachgesagt wird, nehme ich dennoch gern an: Denn ich wollte keinen Film über ein Monster machen, sondern über einen Menschen. Und was in meinem Leben sehr präsent ist, ist auch Skurrilität, Tollpatschigkeit und ja, Humor.

Wenn die Leute sagen, dass das es ein Kampusch-Film ist, was antworten Sie?
Nein. Ich habe das auch beim Casting immer wieder erklärt und am Ende haben die Leute gesagt: Also doch die Kampusch-Geschichte. Aber das kann ich nicht ändern. Ich bin einmal im Burgtheater gesessen bei Wilhelm Tell, Gert Voss hat den Geszler gespielt. Da hat sich eine Nachbarin zu mir gebeugt und gesagt: Gell, das ist der Kaiser. Habe ich gesagt: Nein, der Geszler. Hat sie zu ihrem Mann gesagt: Ich hab's ja g'sagt - der Kaiser. Die Leute wollen das hören, was sie kennen.

Aber der Film war inspiriert von Kampusch und Co.?
Ja. Es war das Jahr 2008. Der Sommer von Madeleine, jeden zweiten Tag war wer anderer verdächtig. Fritzl hatte gerade seinen Prozessbeginn. In Amerika gab es die Geschichte von dem in der Garage versteckten Mädchen. Und noch und noch und noch. Jeden Tag eine neue Überschrift. Angetreten bin ich, den Film zu machen, weil ich schockiert war, wie sehr ich selber Teil dieser verteufelnden Voyeursgesellschaft bin; wie sehr ich selber geil darauf bin, das Neueste vom Monster zu lesen. Ich habe mich gefragt: Was machen wir da eigentlich gesellschaftlich?

In Cannes wurde "Michael" als Skandalfilm aufgebaut.
Ja, das hat mich sehr irritiert. Weil die Leute, die sich einen Skandalfilm erwartet haben, wurden sicherlich enttäuscht. Ich lege es darauf nicht an.

Worauf dann?
Dass die Leute über dieses Tabuthema nachdenken. Und das funktioniert auch. Allerdings wollen die Leute meistens nach den ersten 20 Minuten den Mann in meinem Film töten. Und ich habe auch munteren eMail-Verkehr mit Müttern, die den Film noch nicht gesehen haben, mir aber schreiben, dass sie mich an den Hoden ans Auto binden und rund um Wien zerren wollen.

Warum sucht man sich so ein heikles Thema aus?
Ja, das hat mich selber überrascht. Ich habe drei Projekte im
Freundeskreis vorgetragen: Zu diesem Thema haben sich die kontroversiellsten Diskussionen entsponnen, nämlich zu der Frage, wie man das überhaupt verfilmen kann. Ich habe das Drehbuch dann in viereinhalb Tagen geschrieben.

Was hat Sie dabei am meisten interessiert?
Das Zusammenleben der beiden. Ihre Beziehung.

Das Böse im Normalen?
Nein, das ist mir langweilig. Das wurde schon bis zum Erbrechen durchexerziert. Viel interessanter ist doch, wenn man weiterdenkt: Was ist Normalität, was ist Alltag? Ich glaube, es ist Imitation. Vieles, was dieser Mensch in meinem Film macht, ist die Imitation von Normalität. Er weiß, dass er sich außerhalb der Gesellschaft befindet. Aber er will normal wirken, er will Glück haben.

Der Film handelt auch von Familienritualen wie Weihnachten oder Abwaschen. Ist es ein Film über Familie?
Ich glaube, dass es in dem Film tatsächlich um mehr geht als um Pädophilie. Es geht um den Umgang mit Kindern, wie man Beziehungen lebt oder was man verbirgt. Und das ist es auch, was die Zuschauer daran berührt.

Sie haben die Sexszenen völlig ausgespart.
Ich wollte diesen Voyeurismus, diese Art von Geilheit nicht in meinen Film lassen. Es gibt zu viele Menschen da draußen, die genau auf das reflektieren. Auch die Anbahnung von Sexualität ist sehr unerotisch gezeigt. Das habe ich sehr bewusst gemacht. Pädophilen Menschen ist ja schon der Quelle-Katalog mit Kindern in Badehosen Anreiz genug. Ich wollte nicht dazu beitragen. Mein Kind läuft im Film nicht in Trägerleiberl oder Unterhosen herum.

Sie bieten in Ihrem Film weder Lösung noch Erlösung.
Film ist nicht nur Unterhaltung. Wir sind nicht verpflichtet, im Kino dauernd Märchen zu erzählen, die die Leute gehirnlobotomiert in der U-Bahn fahren lassen. Ich bin kein Experte. Ich weiß keine Lösung und will auch keine therapeutische Lösung für das Publikum finden, indem das Kind einen Löffel klaut und einen Tunnel gräbt, damit die Zuseher zufrieden aus dem Kino gehen können.

"Michael" kommt am Freitag, 2. September in die heimischen Kinos.

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