"Endstation Sehnsucht": Schauspielkunst vom Feinsten
Die Latte lag hoch. Hatte doch Regisseur Dieter Giesing am Haus zuletzt mit seiner fulminanten Inszenierung von Schnitzlers "Professor Bernhardi" gezeigt, wie man auch bei anscheinend Altbekanntem den Blick für neue Sichtweisen öffnen kann. Nun legte Giesing, unter Mitarbeit seines Starkollegen Johann Kresnik, an der Burg Hand an Tennessee Williams’ Südstaatendrama, dessen Drei- bis Vierecksgeschichte "Endstation Sehnsucht." Und dazu fiel Giesing deutlich weniger ein, als zur österreichischen Arztabsägestory. Wenig bis gar nichts an dieser Arbeit verdient das Prädikat unkonventionell, von einem Suchen und Finden anderer Blickwinkel ist gar nicht erst zu reden.
Es soll einer Aufführung allerdings andererseits nichts Schlimmeres passieren, als dass sie als schöner, solider Abend zu preisen ist ... Giesing verlässt sich auf die Kraft seiner Schauspieler. Und die ist zum Glück im Übermaß vorhanden. Dörte Lyssewski als Blanche und Nicholas Ofczarek als Stanley gewinnen ihren Figuren Facetten ab, wie man sie so noch nie gesehen hat. Zu Recht gab es für die beiden, die sich ihre Rollen offensichtlich im Teamwork erarbeitet haben, immer wieder aufbrandenden Szenenapplaus.
Hart und brüchig
Lyssewski zeigt die Brüchigkeit der Blanche gleich in den ersten Minuten ihres Auftritts. Überschäumend vor – ja, was eigentlich?, ganz herrische, harte Ex-Herrenhaus-Besitzerin, ist sie im Küchenschrank ihrer Schwester Stella auf der Suche nach der Schnapsflasche. Blanche, menschlich wie finanziell am Ende, sucht Zuflucht im Haushalt der Schwester – und trifft auf den mäßig erfreuten Schwager Stanley. Den legt Ofczarek fern jedes "Proleten"- oder Kraftlackel-Images an. Sein Stanley, wegen seiner polnischen Wurzeln von Blanche als primitiver "Polake" beschimpft, ist Handelsvertreter in Anzug und Krawatte. Ein ehrlicher Kerl, ein aufrechter Mensch, der sich darauf freut, Vater zu werden. Der sich seinen Teil des amerikanischen Traums erfüllt hat – bis eine Hysterikerin seine Idylle zerstört. Da geht Ofczarek in seiner Wut in Sekunden von Null auf Hundert, um gleich darauf zusammenzubrechen und um die Liebe seiner Frau zu winseln. Eine beeindruckende darstellerische Leistung. Katharina Lorenz hat es da schwerer mitzuhalten. Ihre Stella, allein schon ramponiert durch die zu dieser Art von Stanley nicht mehr stimmigen Doku-Soap-Schlampen-Outfits, bleibt über weite Strecken Schablone.
Dietmar König müht sich als tollpatschiger Kavalier von Stanleys bestem Freund zu Blanches’ Verehrer und zurück zu mutieren. Dennoch ist es auch beeindruckend, diesen beiden Figuren bei ihren zunehmenden Beschädigungen zuzuschauen. Entgleisung, die aus Not geboren ist, ist nicht umsonst das Freud’sche Fundament von Williams’ Schauspiel.
Kein Poe
Eine Themenverfehlung ist hingegen das Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann. Er dürfte das Stück nicht, oder darin den Satz "Nur Edgar Allen Poe könnte das hier in Worte fassen" überlesen haben. So schuf er ein rosa-zartgelbes Loft. Vielleicht hatte er ja mehr Florida als New Orleans im Sinn.
Fazit: Ein Fest für die Darsteller
Stück: Uraufgeführt 1947. Inhalt: Die alternde Südstaatenschönheit Blanche, die den Familiensitz verloren und sich prostituiert hat, sucht Unterschlupf bei Schwester Stella und Schwager
Stanley. Die Situation eskaliert: Stanley soll Blanche vergewaltigt haben. Stella lässt Blanche einweisen.
Regie: In Spuren da. Als hätte Giesing gesagt: Das Stück kennen wir, da wissen wir alles, da gibt’s nichts zu entdecken.
Schauspieler: Das taten dann die Darsteller für ihn – und zwar brillant.
KURIER-Wertung: **** von *****
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