"Elektra": Theater in einer klaffenden Wunde

"Elektra": Theater in einer klaffenden Wunde
Kritik: Michael Thalheimers gnadenlose Inszenierung von Hofmannsthals "Elektra" begeistert im Burgtheater.

Einer der Hauptdarsteller dieses faszinierenden Theaterabends ist das Bühnenbild von Olaf Altmann: In einer kahlen, grauen Wand klafft ein schräger Riss. Man kann gar nicht anders, man muss einfach ständig draufschauen. Mit durchaus ungewöhnlichen Folgen: Der Blick wird zuerst starr und dann schwammig. Eine junge Dame im Parkett kämpft sogar mit Übelkeit. Dieser schräge Riss mache sie seekrank, sagt sie.

Was ist das? Eine Felsspalte, Symbol für die Lage der Hauptfigur, die mit sich und ihrem Hass gefangen ist? Eine klaffende Wunde, wie die, welche ihre Mutter ihrem Vater zufügte, als sie ihn ermordete? Das Fenster einer Zelle, aus der Elektra Ausschau hält, ob der rächende Bruder Orest kommt?

Vor allem aber ist dieses Bühnenbild eines: Eine gute Idee. Denn nur in diesem Spalt wird gespielt. Das klaustrophobische, reduzierte Spielen, Drängeln, Verrenken auf engstem Raum wirkt gleichzeitig beklemmend wie komisch.

Die zweite Hauptdarstellerin ist die entfesselt aufspielende Christiane von Poelnitz. Falls sie für diese furiose Darstellung der Elektra nicht mit Theaterpreisen zugeschüttet wird, dann ist die Welt nicht mehr zu verstehen. Wenn sie sich etwa zu Beginn in die Rachevisionen der Elektra hineinfallen lässt und dabei Bilder entwirft, durch die Bäche von Blut fließen, ist sie so überzeugend, dass man es mit der Angst zu tun bekommt.

Hier zeigt sich wieder die Kraft des Theaters: Aus dem Nichts, aus Luft, aus Sprache schafft es eine neue Welt, um nichts weniger wahrhaftig als die andere, die da draußen, auf der Ringstraße.

Wilde Familie

"Elektra", das Stück von Hugo von Hofmannsthal, aus dem später das Libretto zu Richard Strauss’ gleichnamiger Oper wurde, erzählt eine entscheidende Episode aus der Geschichte einer besonders dysfunktionalen Familie, der Atriden. Klytämnestra hat ihren eben von der Arbeit, also aus dem Trojanischen Krieg, heimgekehrten Mann Agamemnon im Bad erschlagen. Das gehört sich natürlich nicht, aber die Täterin hat starke Motive. Erstens hat sie längst einen anderen, den Ägisth. Zweitens hat Agamemnon, bevor er sich auf Dienstreise verabschiedete, noch eine der gemeinsamen Töchter den Göttern geopfert, damit die für guten Wind sorgen.

Elektra und Chrysothemis, die übrigen Töchter, idealisieren den getöteten Vater. Elektra schleicht als wandelndes Mahnmal durch die Gegend und predigt Rache. Bis dann eines Tages der verloren geglaubte Bruder Orest erscheint und Mutter plus Ägisth metzelt.

Regisseur Michael Thalheimer erzählt diese wilde Geschichte auf 80 Minuten verdichtet, virtuos, artifiziell, hinreißend. Der Abend ist alles andere als leicht verdaulich, wirkt aber geradezu magisch. Adina Vetter ist als Chrysothemis wunderbar, Ahnliches ist über Catrin Striebeck als Klytämnestra zu sagen. Falk Rockstroh als Ägisth und Tilo Nest als Orest haben es in dieser Inszenierung dagegen nicht leicht.

Fantastisch: die Musik von Soap&Skin.

Großer Jubel.

KURIER-Wertung: ***** von *****

Kommentare