Ursprünglich war US-Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig („Francis Ha“) für die Rolle der Chris vorgesehen, doch fiel sie aus, um die Regie des US-Films „Little Women“ zu übernehmen.
Trotz Absage wendete sich alles zum Guten: „Ich glaube, die Besetzung der Hauptrolle mit Vicky Krieps brachte mir die Figur noch einmal näher“, so Hansen-Løve: „Ihre europäische Sensibilität und der Hauch von Melancholie, den sie mitbringt, macht sie umso mehr zu meinem Alter Ego.“
Tatsächlich kann man sich niemand anderen als die versonnene Vicky Krieps in der Rolle der jungen Filmemacherin vorstellen, die vis à vis des erfolgreichen Mannes ihre eigene Position sucht: „Der Film handelt nicht nur davon, wie sie sich von ihrem Partner künstlerisch emanzipiert, sondern auch, wie man mit Vorbildern wie Bergman umgeht. Es geht darum, die eigene Stimme zu finden.“
Die Auseinandersetzung mit Übervater Bergman nimmt teilweise recht unterhaltsame Formen an. So ist bekannt, dass Bergman neun Kinder mit fünf verschiedenen Frauen zeugte, was ihn keineswegs davon abhielt, ein enormes Werk von mehr als 50 Filmen zu schaffen.
Wie viele Windeln er in dieser Zeit gewechselt hat, lässt sich unschwer erraten.
Die Frage, ob Bergman ein großes Genie oder mindestens ein ebenso unsympathischer Macho war, zieht sich spielerisch durch den gesamten Film und befeuert die Frage nach der Balance zwischen künstlerischer Arbeit und Familienleben: „Ich habe den Eindruck, dass es Männern leichter fällt, ihre Kinder den Müttern zur Erziehung zu überlassen, damit sie sich ungestört ihrer kreativen Arbeit zuwenden können“, sinniert Hansen-Løve, deren Drehbuch übrigens vor Ausbruch der #MeToo-Debatte entstand: „Für Frauen stellt sich das meist komplizierter dar. Ich werfe sicher keinen moralisierenden Blick auf Bergmans Lebenswandel, sondern ich stelle mir die Frage: ,Wie kann ich als Künstlerin arbeiten, ohne Kompromisse machen zu müssen, und gleichzeitig meine Kinder aufziehen und den Alltag mit ihnen verbringen?’“
Dass in der Beziehung zwischen Chris und Tony in „Bergman Island“ nicht alles nur glatt läuft, deutet sich bald an. Allein die Tatsache, dass die beiden in dem Bett aus „Szenen einer Ehe“ schlafen, jenes Bergman-Drama, das „Millionen von Paaren zur Scheidung animierte“, wirft seine Schatten voraus.
Chris arbeitet an einem Film, in dem eine junge Frau bei der Wiederbegegnung mit ihrer ersten großen Liebe ihre Leidenschaft neu durchlebt. Gleichzeitig findet sie in Tonys Notizen pornografische Zeichnungen, die sie sichtlich überraschen: „Die beiden haben eine große Bindung und Liebe zueinander. Aber vielleicht sind sie an einem Ende angekommen und es fehlt ihnen an Leidenschaft. Es gibt da diese Spannung zwischen Komplizenschaft und Einsamkeit“, sagt Hansen-Løve.
Gleichzeitig gehe es auch darum, dem andern seine Geheimnisse zu lassen, aus denen er Kreativität schöpft: „Alles, was Chris in ihrem Leben vermisst, packt sie in den Film, an dem sie schreibt. Für mich ist das genauso. Meine Filme stehen in direktem Dialog zu meinem Leben.“
Die Schmerzen einer ungelebten ersten Liebe verhandelt Hansen-Løve als Film-im-Film, der auf einer Hochzeitsfeier zu dem bitteren ABBA-Song „The Winner Takes It All“ stattfindet: „Dieser Film-im Film steht in direkter Verbindung zu meinem Film ,Goodbye First Love‘ (2011), der ebenfalls von einer ersten Liebe und deren Desillusionierung handelt“, erzählt Mia Hansen-Løve: „Deswegen habe ich begonnen, Filme zu machen: Um die Wunden der Jugend in etwas Kreatives zu verwanden – um zu überleben und um nicht zu melancholisch zu werden.“
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