Einsam am Kindergeburtstag

Neil Gaiman ist stolz auf sein neues Buch: „Ich schreibe seit 30 Jahren. Für manche Szene hier habe ich wirklich 30 Jahre Übung gebraucht“
Kultautor Neil Gaiman erzählt, warum man sich in Jugendbüchern fürchten soll.

Man muss Duran Duran dafür danken, dass Neil Gaiman Schriftsteller geworden ist.

1983 wurde dem damals 23-jährigen britischen Journalisten Neil Gaiman angeboten, eine Rock-Bio zu verfassen. Def Leppard, Duran Duran und Barry Manilow standen zur Auswahl. Gaimann, der lieber Romane und Comics als Star-Biografien geschrieben hätte, sagte aus finanziellen Gründen zu. Duran Duran wählte er aus, weil die Ur-Britpopper damals nur wenige Platten auf dem Markt hatten. "Ich wollte mir auf keinen Fall 20 Barry-Manilow-Platten anhören!"

Die Biografie erschien (heute ist sie vergriffen und ein begehrtes Sammelstück), der Verlag ging pleite, und Gaiman so gut wie leer aus. "Seither weiß ich: Tu nie etwas rein des Geldes wegen."

Bei den Simpsons

Heute ist Gaiman, 53, im englischsprachigen Raum ein Kultautor, der sogar einen Gastauftritt bei den Simpsons hatte. Bei uns ist er, abgesehen von Hardcore-Fans aus der Graphic-Novel- und Fantasyszene, noch ein Geheimtipp. Mit Romanen und Drehbüchern hat der in den USA lebende Schöpfer der "Sandman"-Comics und des "American Gods"-Epos ein Vermögen gemacht. Und es gelingt ihm, auch jene, die sonst mit "Fantasy" wenig anfangen, zu begeistern.

Gaimans Werk reicht von viktorianischen Elfen-Fantasien wie "Stardust" über furchterregende Kindergeschichten wie "Coraline" bis zu Science-Fiction-Serien. Oder sehr persönlichen Büchern wie seinem jüngsten Roman "Der Ozean am Ende der Straße", den er am Mittwoch in einer hoffnungslos überlaufenen Wiener Buchhandlung vorstellte.

Mühelos setzt Grenzgänger Gaiman hier erneut ein Puzzle aus Horror, Fantasy, Klassik und tatsächlichen Kindheitserinnerungen zusammen. Der Roman entstand ursprünglich aus einem Brief, den er seiner Frau, der genial-schrägen Sängerin Amanda Palmer, schrieb, erzählt Gaiman im KURIER-Gespräch. "Ich hab’ die Geschichte dann meinem Verleger gegeben mit den Worten: ,Schau, ich hab gerade eine Story geschrieben, auf die keiner gewartet hat.‘"

Trotz der moderaten Ankündigung schaffte es das Erinnerungs-Büchlein, Dan Brown um den ersten Platz der New-York-Times-Bestseller-Liste zu bringen.

Ähnlich wie in der "Alice im Wunderland"-Hommage "Coraline" wird auch hier ausführlich Lewis Carroll zitiert: Ein Tunnel verbindet eine Welt mit einer anderen. Kompliziert: Ein Monster namens Ursula findet seinen Weg durch diesen Tunnel – und durch den Körper eines Buben. Eines traurigen Buben, dessen einzige Freundin aussieht wie "blasse Seide und Kerzenschein" und zu dessen siebenten Geburtstag niemand kommt.

"In Wahrheit war es noch viel schlimmer", erzählt Gaiman von seiner eigenen Kindheit. "Zu meinem Geburtstagsfest ist ein einziger Gast gekommen." Somit hatte das Grauen einen Zeugen.

Im echten Leben

Aber Kindheit wird auch im echten Leben nicht von Monstern verschont. Wie der Bub im Buch wurde auch Neil aus der Tristesse seines Kinderalltags durch Literatur gerettet. Neils kleine Schwester war keine begeisterte Leserin: "Meine Eltern bezahlten mich, damit ich ihr Bücher kaufe und vorlese."

Er las ihr unter anderem Bücher von Maurice Sendak ("Wo die wilden Kerle wohnen") vor, von dem jener Satz stammt, den Gaiman nun seinem jüngsten Buch voranstellt: "An meine Kindheit erinnere ich mich lebhaft ... Ich wusste schreckliche Dinge. Aber ich wusste auch, dass die Erwachsenen nicht wissen durften, was ich wusste. Es hätte sie in Angst versetzt." "Der Ozean am Ende der Straße" ist kein Kinderbuch, aber Gaimans tatsächliche Kinderbücher sind genauso finster. Er werde oft gefragt, ob Literatur für junge Leser denn so düster sein dürfe. "Sie muss es sogar! Sie muss Kindern die Möglichkeit geben, sich auf sichere Art zu fürchten. Es ist wie eine Art Impfung, um sich besser mit den wahren Herausforderungen des Lebens auseinanderzusetzen."

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