"Einer von Uns" ist einer von den Guten

"Einer von Uns" ist einer von den Guten
Stephan Richter reüssiert mit seinem ersten Spielfilm „Einer von Uns“.

Im Zentrum des Films steht ein Supermarkt, der zum verhängnisvollen Ausgangspunkt eines tragischen Vorfalls wird! Ein bildgewaltiges Fest für die Augen und von einer wahren Begebenheit inspiriert. Der KURIER traf den Jungregisseur, um mit ihm über die Hintergründe und Absichten seines Werkes zu sprechen!

„Einer von Uns“ ist Dein Spielfilmdebüt! Was hast Du davor gemacht, beziehungsweise wie bist Du zum Film gekommen?

Stephan Richter: Ich habe zuerst an der „Angewandten“ Medienkunst studiert, mit dem persönlichen Schwerpunkt auf Experimentalfilm und Fotografie. Von ersten Arbeiten, die auf Festivals liefen, kam ich dazu, Musikvideos zu drehen, bis hin zum Kurzfilm und 2011 habe ich begonnen, das Projekt „Einer von Uns“ mit einem Stipendium zu entwickeln. Ursprünglich war „Einer von Uns“ als Kurzfilm geplant, das ist dann quasi immer mehr „ausgeartet“. In den Anfängen hätte ich niemals damit gerechnet, die Ressourcen für einen Spielfilm auftreiben zu können. Dieses Projekt war jedenfalls ein langer Prozess.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, diesen Supermarkt-Vorfall zu verfilmen?

Direkt nachdem das passiert ist, habe ich alles rund um das Thema medial verfolgt, da mich das sehr berührt hat. Den Umgang mit dem Fall fand ich etwas merkwürdig, vor allem auch, wie über die Jugendlichen geurteilt wurde. Das Ganze hat mich danach nicht mehr losgelassen. Das Bild von einem Jungen, der in einer bunten Warenwelt stirbt, hat sich in meinem Kopf manifestiert und dem bin ich dann intuitiv gefolgt. Interessanterweise ist das Bild immer noch der Dreh- und Angelpunkt des Films. Das sagt, finde ich, auch viel über die tragische Sinnlosigkeit dieses Vorfalls aus.

Und wie hat Deine Recherche-Arbeit zu dem Projekt genau ausgesehen?

Ich habe damit angefangen, im Umfeld des Prozesses Informationen zu sammeln, habe mit Anwälten und Polizisten geredet, um einfach einen Überblick über diese Geschichte zu bekommen, mich dann langsam nach Lerchenfeld [Anm. d. Red.: Stadtteil in Krems] vorgetastet, wo ich diesen Supermarkt auch als sozialen Treffpunkt der Jugendlichen wahrgenommen habe, was mich für den Film wiederum sehr interessiert hat. Erst ab dem Punkt, an dem ich wusste, wo die Reise für mich hingeht, habe ich die Familie von Florian P. kontaktiert.

Im Abspann des Films sprichst Du der Landespolizeidirektion NÖ deinen Dank aus...

Die Perspektive der Exekutive war mir von Beginn an sehr wichtig, um den Fall glaubwürdig darzustellen. Aus diesem Grund bin ich auch auf die Polizei zugegangen, da ich herausfinden wollte, wie so etwas aus Sicht eines Beamten schief gehen kann. Anfangs waren sie misstrauisch, aber ich habe versucht ihnen zu erklären, dass es wichtig ist diese Fehler zu zeigen. Nur so werden die Figuren menschlich und das wissen die Zuseher zu schätzen.

Hast Du zu mehreren direkt Betroffenen, beispielsweise dem Komplizen von Florian P., Kontakt gesucht?

Ja, aber ich musste auch akzeptieren, dass nicht jeder darüber reden wollte. Das ist eine eigenartige, komplizierte Geschichte gewesen und für alle Betroffenen ein sehr traumatisches Erlebnis – darauf muss man Rücksicht nehmen. Ab einem gewissen Zeitpunkt war für mich jedenfalls klar, dass wir uns viel selbst erarbeiten müssen, um somit auch ein bisschen Abstand zu den realen Ereignissen zu gewinnen und mehr kreative Freiheit zu schaffen.

Der Polizist, der Florian P. damals erschossen hat, bekam 8 Monate bedingte Haft – ein eher mildes Urteil. Wie siehst Du das?

Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, sich im Kontext des Films darüber Gedanken zu machen. In meinen Augen ist es schlimm genug, damit zu leben und mir ging es auch nie darum, über das Strafmaß zu urteilen oder den Prozess erneut aufzurollen, sondern wie wir uns als Gesellschaft gegenüber dem Fall positionieren. Wenn Rufe zu hören sind wie: „Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist alt genug zu sterben“, dann stellt sich für mich eine Grundsatzfrage: Ist jemand der alt genug zum Kiffen ist, auch alt genug zu sterben? Wo ist die Grenze und wer definiert das? Man muss das unter dem Aspekt sehen, dass es wichtig ist, so etwas zu verhindern. Vor allem in der Polizei- und/oder Jugendarbeit. Es muss klar artikuliert sein, dass Vorfälle wie dieser nicht im Interesse einer Gesellschaft sein können.

Würdest Du sagen, Du hast in Deinem Film das Verhalten des Polizisten verurteilt?

Das war nie mein vorrangiges Ziel. Ich wollte keinen moralischen Film machen. Ich habe versucht, ein glaubhaftes Motiv zu finden und das, was der Beamte im Film macht, möglichst glaubhaft darzustellen, denn nur so kann man das als Zuseher auch nachempfinden. Natürlich schaut das nicht toll aus. Niemand schaut gut aus, wenn er ein 14-jähriges Kind erschießt, aber es war uns allen sehr wichtig, nicht mit dem Finger zu zeigen und meiner Ansicht nach haben wir das auch nicht getan! Das Urteil muss der Zuseher selbst fällen können.

„Von einer wahren Geschichte inspiriert.“ Wie nah ist der Film im Endeffekt an der Wahrheit? Was ist Fakt, was Fiktion?

Alles, was ich damals zu dem Fall gelesen habe oder in Erfahrung bringen konnte, habe ich sozusagen in einen geistigen Topf geworfen. Auch das Figurenensemble habe ich an dem wahren Fall aufgestellt. An diesem Punkt habe ich aber die Charaktere und Geschichten frei entwickelt. Vor allem bei den Jugendlichen war es mir wichtig, dass sie sich selbst einbringen und entfalten können. Im Endeffekt war es mir wichtiger, mit den Schauspielern zusammen eine exemplarische Realität zu erschaffen, als mich nur an den faktischen Tatsachen festzuhalten.

Das klingt nach einer aufwändigen Vorbereitungsphase. Wie bist Du zu den Schauspielern gekommen, beziehungsweise wie haben die Arbeiten vor dem Dreh ausgesehen?

Es waren viele Proben erforderlich, um die Charaktere auszuformen. Mit Christopher Schärf zum Beispiel habe ich fast ein Jahr vor den Dreharbeiten begonnen, die Rolle zu entwickeln. Das fordert natürlich viel Bereitschaft und Herzblut. Auch Markus Schleinzer, der den peniblen Filial-Leiter spielt, war sehr engagiert und bereit, über das normale Maß hinaus lange an dem Film zu arbeiten. Die jungen Schauspieler haben wir allerorts in Jugendzentren, Schulen oder Theatergruppen gecastet, um Leute zu finden, die sich auch mit der Story identifizieren können. Danach haben wir versucht, die Kids so oft wie möglich zusammenzuführen und gemeinschaftlich zu proben. Auf diese Art etablieren sich Gruppendynamiken, die wir für den Film nutzen wollten. Damit sind wir jetzt wieder bei Fakt und Fiktion angelangt – es war mir persönlich viel wichtiger mich daran zu orientieren, wie die Schauspieler miteinander funktionieren als mich daran zu klammern, wie die Personen in Echt gewesen sind und das dann 1:1 zu kopieren.

Die Sprache der Jugendlichen klingt sehr authentisch. Hast Du bei den Proben auf Sprachtrainer zurückgegriffen?

Wir hatten einen Schauspieltrainer, der darauf geachtet hat, dass sich die Jungen wohlfühlen und der ihnen aber auch Werkzeuge zur schauspielerischen Verwirklichung vermittelt hat. Die Sprache kommt von ihnen selbst. Manche können das, andere nicht; aber mir ist oftmals aufgefallen, dass es ganz unterschiedliche Färbungen im Jugendjargon gibt und ich wollte ihnen keine Dialekte antrainieren, da ich bei meinen Recherchen festgestellt habe, dass die Sprache bei Jugendlichen so einheitlich gar nicht ist. Sie reden ganz unterschiedlich und finden dann in der Gruppe eine gemeinsame Sprache.

Die Figur des „Vickerl“ - gespielt von Christopher Schärf - erinnert ein wenig an den von Riff Raff inspirierten Rapper in Harmony Korines „Spring Breakers“. Siehst du das auch so?

(Lacht) Christopher kam im Zuge unserer Charakterentwicklung mit der Idee an, dass der Vickerl Cornrows (Anm. d. Red.: Flechtfrisur) tragen soll. Ich fand das passend, da ich mir gewünscht habe, dass sich dieser Darsteller auch optisch von den anderen Jungs unterscheidet. Ich fand außerdem, es sei eine schöne Referenz an diese amerikanische Gangster Hip Hop-Kultur, die eben auch hierzulande spürbar ist. Bei genauerer Betrachtung sind sich die Figuren dieser Filme sehr ähnlich: beide schaffen es, deutlich jüngere Leute mit ihrem Gangster-Gehabe in ihren Bann zu ziehen. Ein Mann Anfang 30, den die Gesellschaft eher als Verlierer-Typ einstufen würde und der mit einem Haufen Jugendlicher abhängt, weil er in den Kreisen noch respektiert wird – das hat mich fasziniert.

Ist aus Deinem Film eine gewisse Systemkritik herauszulesen?

Mich hat interessiert, dass man von so einem Ort aus, der wie ein Warentempel in der Landschaft steht, eine kleine menschliche Geschichte erzählt, der Zuseher dadurch aber ein viel größeres Bezugssystem sieht und man so auch mitbekommt, in welchen Systemen sich die Menschen bewegen. So entsteht eine Metapher für unsere Gesellschaft. Und die funktioniert ja schon lange nicht mehr für die Menschen, doch wir wollen das nicht wahrhaben und halten krampfhaft an den "perfekten Oberflächen" fest. Im Film entsteht eine Diskrepanz zwischen den Lebenswelten der Charaktere und den streng geordneten und strahlenden Produktwelten.

Wie seid Ihr zu der Supermarkt-Location gekommen?

Wir haben in der Filiale einer kleinen Kette gedreht, weil von den großen alle abgesagt haben. Aber hätte ich den Supermarkt selber bauen können, hätte die Location vermutlich auch nicht viel anders ausgesehen. Das war schon ein großer Glücksfall, dass wir diesen Supermarkt für unseren Film bekommen haben.

Was für einen Bezug hast Du zum österreichischen Film und was sind Deine Vorbilder, wenn es um filmische Umsetzung geht?

Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Wenn ich generell über meinen Bezug zum Film nachdenke, dann ist der Österreich-Film eigentlich nur ein Fragment von Vielen. Ich orientiere mich vor allem am nationalen und internationalen Independent Film. Wenn man sich mit einem konkreten Projekt beschäftigt gibt es natürlich viele Einflüsse, anhand derer man beschließt, in welche Richtung es filmisch gehen soll. Es gab da schon ein paar Schlüsselfilme, die mich auch für die Arbeit an „Einer von Uns“ geprägt haben. Gus van Sants „Elephant“ war ein wichtiger Film, Lynne Ramsey „We need to talk about Kevin“ ebenfalls oder etwa „Weapons“ von Adam Bhala Lough - und Michael Hanekes „72 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“ - um ein österreichisches Beispiel zu nennen. Vornehmlich Filme, die sich viel mit traumatischen Gewaltsituationen beschäftigen.

INFO: "Einer von Uns" startet am 20.11. in den Kinos

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