Ein großes „Endspiel“ für die Opernwelt
Es war fast schon ein Running Gag in der Opernszene, wie „Warten auf Godot“: Wann wird die erste Oper des großen ungarisch-französischen Komponisten György Kurtág tatsächlich ihre Geburt erleben? Als Alexander Pereira noch Intendant der Züricher Oper war, hatte er bereits davon gesprochen. In seiner Zeit als Chef der Salzburger Festspiele war sie praktisch für jede Saison in Aussicht gestellt. Nun, an der Mailänder Scala, die von Pereira künstlerisch erfolgreich geleitet wird, war es tatsächlich soweit: Der große Kurtág hat im Alter von 92 Jahren sein bisher größtes Werk präsentiert. Pereiras Konsequenz und Treue haben sich also gelohnt.
Das „Warten auf Godot“ ist zu Ende, Samuel Beckett ist der Komponist aber treu geblieben: Er vertonte dessen „ Endspiel“ aus dem Jahr 1956, in der französischen Originalsprache, also „Fin de partie“ genannt, in eigener dramaturgischer Bearbeitung.
Da stellt sich natürlich sofort die Frage: Ist absurdes Theater wirklich für die Opernbühne geeignet (Zyniker werden anmerken, die Oper sei ja ohnehin per se absurd genug). Braucht Musiktheater nicht viel mehr konkrete Dramatik als das Schicksal von vier Personen, die resignativ auf ihr Ende warten? Sollte es nicht eine gewisse Entwicklung, Interaktion, im Idealfall sogar ein bisschen Spannung geben?
Die Inszenierung
Pierre Audi, der Regisseur, der sehr oft dann engagiert wird, wenn es darum geht, einem großen Künstler Respekt zu erweisen (wie zuletzt Bühnenbildner Georg Baselitz bei „Parsifal“ in München) und das Kunstwerk ja nicht durch einen Hauch von Interpretation zu beschädigen, tut jedenfalls wenig, um die Geschichte zu verdichten.
Bei ihm sitzt Hamm im Rollstuhl wie in so gut wie jeder anderen „Endspiel“-Aufführung. Clou hinkt sich durch seine Monologe, und Nagg und Nell tauchen freilich aus Kübeln auf. Soweit, so Beckett. Für eine Oper sehr mager, auch wenn Audi dank der Schattenspiele auf dem grauen Einheitsbühnenbild mit metallischem Haus im Zentrum (Licht: Urs Schönebaum) durchaus poetische Momente gelingen.
Die Komposition
Dafür ist die Musik von Kurtág, des Meisters der Miniaturen, der immer schon durch Reduktion zu begeistern wusste, genial. Dieses Werk ist altersweise und dennoch ganz jung, innovativ und völlig eigenständig, auch wenn man die gesamte Musikgeschichte, von Richard Strauss (manches erinnert an „Zarathustra“) bis Richard Wagner (vieles erinnert an „Tristan“) durchhört. Kurtág versteht es, wie nur wenige vor ihm, mit den Sängern umzugehen. Er selbst hat einmal gesagt, die Sprache von Beckett sei Musik. Nach dieser Uraufführung darf man sagen: Kurtágs Musik ist Sprache. Fast bescheiden tragen seine einzelnen Phrasen, hier eine der Streicher, dort ein Hornruf, die Protagonisten durch die Oper, wie ein Pointillist markiert er ein paar Punkte, entwickelt dadurch eine Ahnung vom beeindruckenden Ganzen und holt nur am Ende zur großen Geste aus, die aber sofort wieder im Nichts verhallt.
Kurtág, der aus der Tradition von Ligeti, Boulez, auch Stockhausen kommt, changiert mühelos zwischen den Stilen, sein Ideenreichtum wird vom exzellenten Orchester der Mailänder Scala unter der präzisen, aber durchaus emotionalen, ja leidenschaftlichen Leitung von Markus Stenz fabelhaft realisiert. Selbst die vielen Pausen, die Kurtág komponiert, sind hier große Musik.
Mehr als neun Jahre hat Kurtág an dieser Oper gearbeitet – es wäre wichtig, dass dieses Auftragswerk der Scala nach dem Koproduktionsort Amsterdam bald auch anderswo fortlebt, am besten in einer Neuinszenierung.
Die Sänger
Sehr gut besetzt, stimmlich wie darstellerisch, sind die vier Sänger: Leonardo Cortellazzi als markanter Nagg, Hilary Summers als eindrucksvolle Nell, Frode Olsen als dominanter Hamm und Leigh Melrose als unterdrückter Clov. Bei aller musikalischen Qualität lässt einen die Geschichte aber kalt, trotzdem haben nur ein paar Dutzend das Theater während der zwei Stunden vorzeitig verlassen.
Jedenfalls fragt man sich, wie viele Opern noch nach Kurtág in diesem durchaus klassischen Stil geschrieben werden. Diese „Fin de Partie“ könnte durchaus ein Art von „Endspiel“ für eine bestimmte Form dieses Genres gewesen sein.
www. teatroallascala.org
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