Ein großer Schriftsteller ohne Bücher

Ein großer Schriftsteller ohne Bücher
Paul Auster macht Werbung für einen französischen Kollegen, der nichts veröffentlicht hat.

Paul Auster, von dem in genau drei Tagen bei Rowohlt „Das rotes Notizbuch“ (diese 20 Jahre alten wahren Geschichten über  eine falsche Telefonnummer und verkohlten Zwiebelkuchen) neu veröffentlicht wird, erstmals vollständig, eine bibliophile Ausgabe noch dazu ... wo waren wir? Wo wollten wir hin?
Zu Joseph Joubert.
Auster hat sich für den alten Franzosen eingesetzt. Hat ihn übersetzt. Sagt über ihn: „Ein Literat ohne Gattungszugehörigkeit. ... Ein Schreiber, der sein ganzes Leben damit verbrachte, sich auf ein Werk vorzubereiten, das nie geschrieben wurde. En Schriftsteller ersten Ranges, der nie ein Buch hervorgebracht hatte.“
Sondern „ nur“ 205 Notizbücher , die er ab dem Jahr 1786 füllte. 40 Jahre lang notierte er Gedanken, die Joubert für real hielt wie Kanonenkugeln.
Beispiel: „Meine Ausdünstungen sind die Träume eines Schatten.“
Beispiel:  „Es gibt solche, denen man zum Wahnsinn raten muss.“
Eintragungen in Tagebücher sind das gewiss nicht. Ob man’s Aphorismen nennen kann, darüber darf diskutiert werden. Falls man dafür Zeit hat. Jedenfalls machte sich Joseph Joubert nicht wichtig, er wollte nicht brillieren – nur sammeln wollte er für den großen Roman. Nur aufbewahren wollte er, was Grenzen erweitert, auch die eigenen. „Mit Sorgfalt Dinge ausdrücken“ wollte er, die es wert sind, „auf Seide oder in Erz geschrieben zu werden.“
In der Sammlung erfährt man, Joubert war geschätzt bei Freunden wie de Fontanes oder de Chateaubriand. Deren Aufforderungen, sein Umherschweifen zu veröffentlichen, widerstand er mit der Bemerkung: „Die große Zahl der Bücher nimmt einem die Lust daran und tötet das Vergnügen.“
„Alles muss seinen Himmel haben“ ist zum Versinken. Ein Satz ersetzt eine Erzählung und so manchen Roman.
Literaturkritikerwerden mit neun Wörtern zum Schweigen gebracht:
„Ein einziger schöner Ton ist schöner als langes Reden.“

Joseph
Joubert:
„Alles muss seinen
Himmel haben“
Übersetzt und Vorwort von  Martin Zingg. Nachwort von Paul Auster. Verlag Jung und Jung.
168 Seiten.
20 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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