Gleiches lässt sich über seinen in der (vom steirischen VP-Urgestein Herwig Hösele kuratierten) Reihe Leykam Streitschriften erschienenen Band über die „unreife Republik“ sagen. Mit beeindruckender historischer und politikwissenschaftlicher Expertise führt uns der Autor durch die Tiefen und Untiefen Österreichs vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins Heute.
Dabei wird auch manches Klischee (über)strapaziert, etwa das vom „Operettenstaat“, in dem der „prunkvolle Schein über alles [geht]“ und Macht „maximal ein Spiel ist“; vor dem „sich keiner fürchten“ muss, den aber auch „niemand ernst“ nimmt: „Das Leben ist ein Spaß und die Landschaft wie gemalt.“ Freilich, Klischees haben es an sich, dass sie auch meist ein Körnchen Wahrheit enthalten.
„Selbstverblödung“
Die großen Themen der Gegenwart analysiert Hämmerle scharfsichtig. Im Bemühen um größtmögliche Ausgewogenheit bleibt indes oft offen, welchen Standpunkt der Autor selbst bezieht.
Gut lässt sich das an einem der am heftigsten diskutierten Themen der gegenwärtigen politischen Debatten, der Migration, zeigen: Hämmerle spricht von „Selbstverblödung“ und beklagt die emotionale Aufladung des Themas. Er kritisiert rechte Hardliner wie linke Illusionisten (die er beide nicht so nennt) – und will „eine sachliche Debatte samt rationalen Entscheidungen“. Aber genau darum, wie solche Entscheidungen aussehen sollten, dreht sich ja die politische Debatte. Hier scheiden sich eben die Geister.
Zurecht machen Hämmerle „Alarmismus und Empörung“ Sorgen. Als bezeichnendes Beispiel nennt er die Herabstufung Österreichs in einem internationalen Ranking von einer liberalen zu einer bloßen Wahldemokratie im Jahr 2022. Dies habe für aufgeregte Schlagzeilen und Kommentare gesorgt – dabei habe diese Herabstufung „einzig auf schlechteren Werten bei einem Subindikator beruht, zu dem 2021 nur zwei Experten befragt wurden“. Und Hämmerle folgert: „Eine mehr als dürftige empirische Grundlage für so weitreichende Schlussfolgerungen.“
Was tun? Im Kapitel „Auswege“ kommt der Autor über allgemeine, von Kommentatoren aller Schattierungen seit jeher formulierte Antworten nicht hinaus („neue Verantwortungskultur“, „Kursänderung“). Und auch hier der Hang zum Klischeehaften, wenn es heißt: „Österreich ist ein kleines Land mit großem Potenzial.“
Dennoch: ein lesenswerter großer Leitartikel zum Zustand des Landes.
Kommentare