KURIER: Im Original heißt Goreys kurze Geschichte „The unknown vegetable“ – „Das unbekannte Gemüse“. Woher wussten Sie, dass es sich um eine Rübe handelt?
Clemens J. Setz: Man steht bei Gorey ja unter akutem Reimzwang und ich glaube, „Gemüse“ ließ zu wenige Optionen offen, also habe ich stattdessen „Rübe“ gewählt. Es ist so ein kugelrundes, putziges Wort im Deutschen, also passte es besonders gut.
Wie frei fühlen Sie sich in Ihren Übersetzungsentscheidungen? Fragen Sie sich manchmal, ob der Autor einverstanden wäre?
Gerade bei Gorey ist es ja schwierig, weil die meisten Zeilen relativ kurz und streng gereimt sind und darüber hinaus auch noch exakt zum Inhalt eines Bildes passen müssen. Man muss da also in ganz engem Korsett arbeiten, was die Übersetzungsentscheidungen angeht.
Haben Sie selbst die eine oder andere Übersetzung eines Ihrer Bücher gelesen?
Nur die englische Übersetzung von meinem Roman „Indigo“, die Ross Benjamin 2013 gemacht hat. Sie ist viel besser als das Original.
Welches war das erste Buch, das Sie von Edward Gorey gelesen haben?
Ziemlich sicher „The Osbick Bird“.
Was hat Sie daran begeistert?
Oh, alles. Für mich ist es bis heute die schönste Geschichte über Freundschaft. Der Osbick-Vogel landet eines Tages auf dem Hut von Emblus Fingby, einem würdevoll mit Spazierstock herumlaufenden feinen Herrn, und bleibt bis zu dessen Tod sein Gefährte.
Wie sind Sie ursprünglich auf Edward Gorey gekommen?
Als Jugendlicher oder junger Erwachsener sind mir einige seiner Bücher aufgefallen. Sie gefielen mir aufgrund der köstlichen Bösartigkeit und der „campness“, einer sanften Schrillheit und Nähe zur Parodie, die nicht verlacht, sondern feiert. Später habe ich sogar begonnen, alles von ihm zu sammeln.
Wie ist der Stand Ihrer Sammlung und wo gehen Sie auf Jagd?
Oh, mir fehlt das Geld für eine richtige Sammlung, aber einige von Gorey illustrierte Bücher habe ich, zum Beispiel „The Dream World of Dion McGregor“, die transkribierten Monologe des berühmtesten „sleep talkers“ der Literaturgeschichte. Dion McGregor sprach tatsächlich immer im Schlaf und seine Freunde nahmen es mit dem Kassettenrekorder auf. Gorey illustrierte die meisten Träume durch je eine knappe Zeichnung. Ich versuche seit Jahren, eine deutsche Version dieses Buches anzuzetteln, bislang ohne Erfolg.
Was wünschen Sie sich noch von ihm?
Ich hätte ganz gern einen „Doubtful Guest“ als Stofftier, aber der scheint schwer aufzutreiben.
Der „Doubtful Guest“ – „Der fragwürdige Gast“, dieses merkwürdige Wesen, das bei einer Familie Unterschlupf sucht und findet, ist eine hinreißende Geschichte.
Absolut. Aber selbst der Doubtful Guest ist ja nicht nur eine gute, wohltätige Präsenz in der spätviktorianisch verstaubten Familie, in die es ihn eines Abends da verschlägt. Er verleiht ihrem armseligen, blutleeren Leben eine ungestüme Frische, aber scheint sie zugleich von da an gefangen zu nehmen, unabschüttelbar und für immer.
Können Sie eigentlich Edward Goreys Liebe zu Pelzmänteln nachvollziehen?
Er sah darin hinreißend aus, das muss man zugeben. Ich selbst habe noch nie in einem Pelzmantel gesteckt, also kenne ich das Gefühl nicht.