Er berichtete von feinen Damen, die an selbst gezogenem Gemüse starben, wie die alleinstehende Filda in „Die unbekannte Rübe“. Und er wusste von kleinen Mädchen, die ihre jüngeren Brüder so sorgfältig beseitigten, dass man sie erst Jahre später fand, wie Angelica in der Postkartenserie der „vernachlässigten Mörderinnen“. Doch Edward Gorey wusste auch Liebenswertes zu berichten. Etwa von einem seltsamen Wesen, das bei einer Familie Unterschlupf sucht und, trotz außerordentlich schlechten Benehmens, findet: Die Geschichte „Der merkwürdige Gast“ („The Doubtful Guest“) wurde 1957 veröffentlicht, Hermann Hesse empfahl die Lektüre wortwörtlich „dringend.“
Wer war Edward Gorey? Illustrator? Nonsense-Dichter? Gothic-Fan? Surrealist? Kurioser Horrorgeschichtenerzähler? Und für wen schrieb und zeichnete er? Für Erwachsene? Für Kinder? Insbesondere die letzte Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Auch Zeitgenossen wie Tomi Ungerer oder Maurice Sendak beschrieben in ihren in den 1970er-Jahren extrem erfolgreichen Büchern keine unbeschwert-idyllischen Kinderleben. Der Zeitgeist traute Kindern mehr zu.
Das Schöne und das Düstere gehörten bei Gorey zusammen. Neben der Sympathie für das Abseitige und das Makabere war da auch viel Herz, etwa im Umgang mit Wesen, die andere als Sonderlinge bezeichnen würden. Auch Goreys Lebensstil entsprach wohl kaum den gemeinhin als bürgerlich bezeichneten Vorstellungen: Er lebte allein mit unzähligen Katzen und einer Waschbärenfamilie in einem viktorianischen Haus, das er gekauft hatte, ohne es jemals von innen gesehen zu haben, hatte eine Obsession für Ballett, sammelte Pfefferstreuer und Fotos von Toten. Es gab für ihn kein „normal“, nicht privat und nicht in seinen Büchern. Aber was heißt schon „normal“. „Ich glaube wirklich, dass ich über das alltägliche Leben schreibe. Ich glaube nicht, dass ich so seltsam bin, wie manche behaupten“, sagte der am 22. Februar 1925 in Chicago geborene Dichter, den viele aufgrund seines Zeichenstils für einen viktorianischen Künstler hielten. Was sich erst aufklärte, als Gorey im April 2000 starb.
Edward Gorey ist auf vielfältige Weise ins Leben seiner Fans getreten. Im Falle Ihrer Autorin: als Illustrator eines Kinderbuchs von Rhoda Levine. „Er war da und saß im Garten“ erschien 1977 und handelt von einem Hund, der plötzlich im Garten auftaucht. Zwei Buben schauen aus dem Fenster und versuchen, seinen Namen herauszufinden. Nachdem der Kleinere den Hund „Lieschen“ nennt, dreht dieser sich um und trottet davon, um sich etwas weiter weg niederzulassen. Diese wenig actionreiche Handlung ohne jegliche Belehrung war typisch für die Zeit und hätte auch von Gorey selbst stammen können. Absurd, ein bisschen traurig und ohne Moral. Goreys Credo: „Wenn Leute einen Sinn in etwas finden, dann sei auf der Hut.“
Edward Gorey hat bis zu seinem Tod mehr als hundert Bücher veröffentlicht. Auf Deutsch liegen sie in verschiedenen Übersetzungen vor, so etwa von Büchner-Preisträger Clemens J. Setz, seit seiner Jugend ein großer Freund von Goreys „köstlicher Bösartigkeit“.
Auch Autor und Zeichner Walter Moers ist Fan und hat dem „Großmeister des Kuriosen“ nun ein Glückwunschbuch gewidmet. Es hätte Gorey bestimmt gefallen, denn im Zentrum steht ein Gorey-Alphabet und Gorey liebte Alphabet-Bücher. Er besaß, wie man hier erfährt, eine „umfangreiche Abecedarien-Sammlung“. Daneben sind einige seiner schönsten Geschichten zu finden, auch „Der merkwürdige Gast“.
Und eine Gorey-Zitate-Sammlung. Sie reicht von „Wenn eine Geschichte nur das ist, wovon sie zu handeln scheint, hat der Autor versagt“, bis zu „Etwas zu erklären lässt es verschwinden, sozusagen. Was wichtig ist, ist das, was übrig bleibt, wenn man alles andere erklärt hat.“