Happy End interessiert keinen

Der amerikanische Künstler Edward Gorey (1925–2000)
Edward Goreys Storys waren makaber, komisch und frei von jeder Moral.

In Tagen, wo man auch von der Kunst immer öfter verlangt, sie habe "politisch korrekt" zu sein, ist es an der Zeit, sich an Edward Gorey (1925–2000) zu erinnern.

Einen amerikanischen Zeichner und Autor, der außergewöhnliche Erzählungen frei von jeglicher Moral schuf. Der in absurd-bösen Bildergeschichten von jungen Frauen schrieb, die völlig grundlos ein Loch neben eine Pflanze graben und darin verschüttet werden. Von verunglückten Kindern, grausamen Gärten, mordenden Eltern oder von einem fragwürdigen Eindringling, der plötzlich da ist, seltsame Dinge treibt und übrigens die gleichen weißen Stoffschuhe trägt, die neben dem langen Pelzmantel auch Markenzeichen des Autors selbst waren ("Ein fragwürdiger Gast").

Bedenkliche Lage

Happy End interessiert keinen
Edward Gorey ‚Halloween', 2013 Diogenes Verlag AG, Zürich
Oder von jüngst deflorierten Mädchen, die sich in einer misslichen Lage befinden, wie in der nun neu aufgelegten Ratgeber-Parodie "Das erst kürzlich entjungferte Mädchen". Das in den 1960er-Jahren unter dem Pseudonym "Hyacinthe Phypps" herausgegebene Büchlein verspricht, "die richtigen Worte in jeder bedenklichen Lage" zu liefern und ist, wie etliche von Goreys Werken, eine Satire auf moralinsaure Benimm- und Erziehungsratgeber und wirkt vor allem angesichts der skurrilen Konstellationen der jeweiligen Entjungferung, wie etwa "Entjungfert vom chinesischen Detektiv".

Wie wichtig derartige Ratschläge offenbar sind, ist in angeblichen (vom Autor erfundenen) Pressestimmen auf dem Buchrücken nachzulesen: "Ein Standardwerk der Postdeflorationsverhaltenslehre."

Die behauptete Autorin Miss Phypps, heißt es ebenda, blieb selbstverständlich "zeit ihres Lebens unverheiratet und starb glücklich im Kreise ihrer Bridgepartnerinnen in New York."

Über sich selbst schreibt Gorey, der namentlich nur als Zeichner vorkommt, folgende dürftige Kurzbiografie: "Edward St. John Gorey wurde 1925 in Chicago geboren, veröffentlichte seine erste gezeichnete Geschichte bereits mit 13 Jahren in einer Zeitung und lebte so lange in New York, wie sein Ballett-Idol Balanchine dort tanzte."

Es wäre schade, es bei dieser sparsamen Beschreibung des Mannes zu belassen, der mit seinen skurrilen Erzählungen und zarten Zeichnungen von knopfäugigen Menschen und Geistern, von Fledermäusen, Totenköpfen und mannshohen Urnen viele andere Künstler beeinflusste.

Etwa Filmemacher wie Tim Burton, Musiker wie die Tiger Lillies und Nine Inch Nails, oder Schriftsteller wie Neil Gaiman und Daniel Handler alias Lemony Snicket: Goreys Einfluss auf Snickets Kinderbuch-Serie über die Beaudelaire-Geschwister ist unübersehbar. So finster und gemein ist das Schicksal selten in Kinderbüchern. Aber Gorey wie Snicket hatten eben nie viel am Hut mit Happy End.

Katzenfreund

Auch das Schreiben unter Pseudonym hat sich Handler alias Snicket von seinem Vorbild Gorey abgeschaut.

Anagramme seines Namens – Regera Dowdy, E. G. Deadworry oder Ogdred Weary – gehörten zu den angeblichen Autoren der skurill-melancholischen, schaurig-komischen und gelegentlich makaberen Zeichnungen, Erzählungen und Gedichte Goreys. Sie wirken wie eine Mischung aus Beckett und Dracula, aus Existenzialismus und viktorianischer Finsternis. "Gothic" mit Augenzwinkern.

Im angelsächsichen Raum ist Gorey Kult, der Ausdruck "goreyesk" mindestens so geläufig wie bei uns "kafkaesk". Und natürlich kam Gorey bei den Simpsons vor.

Ein Bär von einem Mann, trug Gorey Pelzmantel, Bart und liebte Katzen und Fledermäuse, die er selbstverständlich auch zeichnerisch verewigte. Eine berühmte Fotografie zeigt Gorey in seinem Haus auf Cape Cod, auf der Couch liegend. Auf seinem Bauch: Katzen. Um ihn herum: Bücherberge und noch mehr Katzen, mindestens so entspannt wie ihr Besitzer.

Ein Leben ohne Katzen, sagte Gorey, sei unvorstellbar.

TIPP: Was jetzt von Gorey zu haben ist

Wiederentdeckt
Der Lilienfeld-Verlag hat drei Gorey-Klassiker neu aufgelegt: „Ein fragwürdiger Gast“, „Die Wasserblüte“ (je 13,30 €)und das unter dem Pseudonym Hyacinthe Phypps erschienene Büchlein „Das erst kürzlich entjungferte Mädchen“ (15,30 €).

Kinderbücher
Gorey illustrierte neben eigenen Büchern auch Kinderliteratur, unter anderem Florence Parry Heides geniales „Schorschi schrumpft“ (Diogenes, 17,40 €). Eine Auswahl von Goreys Geistern gibt es in „Halloween“ (Diogenes, 10,20 €).

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