Echte Rebellen, falsche Hasen: Wiener Museen zeigen Klassische Moderne
Leopold Museum und mumok werfen höchst gegensätzliche Blicke auf Kunst bis 1950.
18.11.19, 05:00
Um den Begriff der „Klassischen Moderne“ in der bildenden Kunst zu erklären, könnte man eine Abkürzung nehmen und sagen, es sei der Sammelname für alle Kunstrichtungen, die auf die Silben „-ismus“ enden.
Auch wenn sich zahlreiche Einwände vorbringen lassen – die Idee, dass sich künstlerische Entwicklung in einer klaren Abfolge von Stilen und Ideengebäuden abspielt, war doch erstaunlich lange haltbar. Heute denkt man anders – und doch begreifen zwei Ausstellungen in benachbarten Wiener Museen derzeit die Vielgestaltigkeit der Klassischen Moderne auf ganz unterschiedliche Weise.
Ivan Ristić, Kurator der Ausstellung „Deutscher Expressionismus“ im Leopold Museum (bis 20.4.2020) kommt freilich nicht umhin zu betonen, dass man weniger „den Expressionismus“ als „Expressionismen“ zeige.
Dass es innerhalb des Stilbegriffs gewaltige Unterschiede gibt, wird schon klar, weil der Weg in die Ausstellung die grandiose Richard-Gerstl-Schau kreuzt: Die österreichische Ausprägung des Expressionismus holte die Psyche mit radikaler Selbstbefragung und Körperlichkeit an die Bildoberfläche, während die deutsche Variante Landschafts- und Porträtmotive mit der lange als „primitiv“ geltenden, urtümlichen außereuropäischen Kunst kreuzte.
Mehr als ums Offenlegen innerer Zwänge ging es hier um die Rebellion gegen eine starre Gesellschaft, die den Verstoß gegen die Schönheitsnormen wenig später als „entartet“ brandmarken sollte.Wie das Leopold Museum zeigt, gab es auch hier Schattierungen und Widersprüche. Sichtbar werden sie in der Ausstellung auch deshalb, weil die Werke zwei Privatsammlungen entstammen: Die Bilder wurden subjektiv, nicht als repräsentative Stilbeispiele ausgewählt.
Dank der Organisation in Künstlergruppen (zentral: „Die Brücke“, Dresden; „Blauer Reiter“, München) lässt sich recht einfach sagen, wer beim Expressionismus dabei war. Doch wohin stellt man Marianne von Werefkin, die stets im Schatten ihres berühmteren Mannes Alexej von Jawlensky stand? Von der Malerin, die wohl mehr Fäden zog, als ihr später zugebilligt wurde, stammen einige der stärksten Bilder der Schau, etwa das rätselhafte „Duell“ von 1933, bei dem der Romantiker Caspar David Friedrich ebenso um die Ecke schaut wie dessen späterer Bewunderer Max Peintner.
Auch Paula Modersohn-Becker, Paul Klee oder Lyonel Feininger fallen in kein klares Raster, sind aber als Formsuchende interessanter als so manche Künstlerkollegen, deren gemalte Südsee-Sehnsuchtsphantasien heute ein bisschen peinlich wirken.
Und dann wäre da noch Emil Nolde, der auch einem anderen „-Ismus“ anhing, dem Nationalsozialismus nämlich. In Angela Merkels Büro wurden seine Bilder abgenommen, im Leopold-Museum hängen sie prominent, kritisch kommentiert und zu Recht: Man soll ruhig sehen, dass der Erneuerungs-Gestus mancher Kunstrebellen jener Zeit mit deutschen Allmachts-Visionen kompatibel war.
„Deutsches Beefsteak“
Auf Polemik mussten die Expressionisten aber schon zu Lebzeiten nicht warten: „Aus Kubismus und Futurismus wurde der falsche Hase, das metaphysische deutsche Beefsteak, der Expressionismus gehackt“, schrieb Hans Arp in dem mit El Lissitzky 1924 veröffentlichten Band „Die Kunstismen“, der schon damals eine „letzte Truppenschau aller -Ismen“ ausrief.
Die scheidende Sammlungsleiterin des mumok, Susanne Neuburger, schickt das Zitat in ihrer Abschieds-Ausstellung „Im Raum die Zeit lesen. Moderne im mumok 1910 bis 1955“ (bis 13.4.2020) wohl mit Augenzwinkern zur benachbarten Leopold-Schau – ist ihre Aufbereitung der musealen Bestände doch eine Absage an die gediegen-noble Präsentationsweise dessen, was einmal Avantgarde war.
Auch im mumok hängen deutsche Expressionisten. Außerdem Bauhaus-Künstler, Konstruktivisten, Picasso und mehr. Doch die Werke finden sich in einem wilden Mix aus verspiegelten Stellwänden, Gittern und Podesten wieder, so dass nie ein „reiner“ Blick auf eine Epoche gelingt.
Die Ausstellungsarchitektur des Duos Six/Petritsch nimmt Anleihen bei Friedrich Kieslers Theaterausstellung von 1924, die ein ähnliches Nebeneinander ermöglichte. Die Moderne, so die Botschaft, war nie klassisch und ordentlich: Wer sie verstehen will, soll sich ins Dickicht der Widersprüche wagen.
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