Druckausgleich: Vom schwierigen Umgang mit dem Thema Doping

Er gilt als erster Doping-Toter in der Geschichte des Sports: Arthur Linton (1886)
Essay: Wer auffliegt, kann einpacken. Dabei tricksen wir alle immer öfter. Wie wäre es mit mehr Fairness?

Max Hauke ist das Gesicht zum Blutbeutel. Als die Polizei den Langläufer am vorletzten Februartag im Hotel verhaftete, steckte eine Infusionsnadel in seinem Arm, und ein Beamter filmte mit. Das „Schockvideo“ landete über den Boulevard im Internet. Man sieht einen unsichern, schlaksigen, 26-Jährigen, der sich sein eigenes Blut injiziert.

Er hätte genausogut einem Kleinkind die Adern leersaugen können: „Schock!“ „Skandal!“ – Die Art und Weise, wie sich die Skination Österreich an den „Dopingsündern“ abarbeitet, ist vor allem selbstgerecht. Wir sind persönlich beleidigt, wenn der Medaillenspiegel nicht passt – aber wer beim Betrügen erwischt wird, soll sich bittschön schleichen. „Ich wohne in einem kleinen Dorf, ich spüre, dass ich die Menschen dort enttäuscht habe und mich nun viele von ihnen verachten“, sagte Haukes Teamkollege Dominik Baldauf.

Doping ist verboten, aber das wäre die Schwarzarbeit auch. Ob der Doper oder der Pfuscher mehr Schaden anrichtet, ist geklärt, aber niemand würde in Baldaufs „kleinem Dorf“ den Nachbarn bei der Finanz anzünden.

Definitions-Zores

Die rechtschaffene Entrüstung ist auch bemerkenswert, als eine klare Definition von „Doping“ in der Sportgeschichte gar nicht so einfach fiel. Die holprige Definition eines „Versuchs unphysiologischer Steigerung der Leistungsfähigkeit durch Anwendung von Doping-Substanzen“ aus 1977 war ein schräger Zirkelschluss. So war weiter ungeklärt, was Doping-Substanzen eigentlich sind.

Im Lauf der Jahrzehnte und wohl viele Red-Bull-Dosen später wurde daraus eine Liste von Medikamenten und medizinischen Verfahren, die für Sportler illegal sind. Sie wird ständig aktualisiert, weil auch die Betrüger ständig Updates durchführen. Wenn wir von der gedopten Gesellschaft sprechen, reicht die taxative Aufzählung schnell nicht mehr.

Hilf dir selbst

Was also ist Doping? Nachhelfen vielleicht. Ein Patient, der mit einer Depression zum Psychiater geht und Stimmungsaufheller verschrieben bekommt, bekämpft damit ein reales Defizit. Unlauteres Schummeln sähe anders aus.

Findet mein Arzt, dass ich das konzentrationsfördernde Medikament Ritalin brauche, darf ich es einwerfen. Erwerbe ich es auf dem Schwarzmarkt, um meine Jus-Prüfung zu schaffen, bin ich ein Betrüger.

Wem wurde aber geschadet? Zunächst einmal mir selbst: Ritalin hat hohes Suchtpotenzial. Verbreitet sich diese Art der Selbstoptimierung, geraten auch die Mitstudenten unter Druck.

Eine zweite Schranke wäre das Suchtmittelgesetz. Kokain etwa wäre Party-Doping schlechthin: Wer im glitzernden Nachtleben bestehen will, tut das unter dem Einfluss der „ICH HAB WAS WICHTIGES ZU SAGEN“-Droge effektvoller als ein nüchterner Mensch mit noch so viel gesundem Selbstvertrauen. Die Kehrseite: Sucht, Krankheit, Strafgesetz.

Missbrauch

Diese Form des Dopings wäre nichts anderes als Drogenmissbrauch, wobei sich der etymologische Kreis zu schließen beginnt: „To dope“ heißt im Englischen, sich Drogen zuzuführen. Dass manche davon im Sport einen Vorteil schaffen, ist ein Nebeneffekt, der zum Wortbild „Doping“ führte. Das erste tödliche Dopingopfer stammt aus 1886. Arthur Linton soll sein Immunsystem so geschwächt haben, dass er eine Typhus-Infektion nicht mehr überlebte.

Was können wir als Gesellschaft aus dem Thema lernen? Am ehesten vielleicht, dass harter Wettbewerb skrupellos und unvorsichtig macht. Je wettbewerbsorientierter eine Gesamtgesellschaft ist, desto wilder schummelt sie.

Anders ist ein Phänomen wie „Microdosing“ schwer zu erklären: Dabei werfen sich Berufstätige geringe Mengen von LSD ein, erfahren dabei aber keinen psychedelischen Trip, sondern können sich besser konzentrieren und werden netter im Umgang. Im Endeffekt machen sie sich zu besseren Mitarbeitern und Partnern.

Wir sind zunehmend geprägt von einer meritokratischen Hierarchie: Ein durch viel Arbeit und umfassende Bildung geschaffener Verdienstadel besetzt lukrative Schlüsselstellen von der EU-Verwaltung bis zu großen Consultingfirmen. Ein 31-Jähriger wird Kanzler, junge Menschen in Hoodies machen mit ihren Start-ups Millionen und setzen sich mit 40 zur Ruhe.

Und wer seinen Körper fit hält, ist am Singlemarkt begehrt. Darf man da nicht nachhelfen? Ein neuer „Tatort“ spielt im Fitnessstudio-Doping-Milieu.

Wie Haukes und Baldaufs Schummeln funktioniert, hat wiederum nichts mit Drogen oder Medikamenten zu tun: Sie trainierten zunächst in Höhenluft, wo das Blut mehr Sauerstoff binden kann. Dieses wurde dem Körper entnommen und zum Wettkampf injiziert. Verboten, ja. Aber deshalb an den Pranger?

Vielleicht brauchen wir alle ein bisschen mehr Fairness . Und Druckausgleich.

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