"Dreigroschenoper": Moderner denn je

"Dreigroschenoper": Moderner denn je
Das Brecht-Stück läuft am Grazer Schauspielhaus und demnächst im Volkstheater. Schottenberg, Badora, Nardo und Mahler sprechen über die Aktualität des Lehrstücks.

Am Grazer Schauspielhaus (seit 19.11.) und am Wiener Volkstheater (Premiere: 16.12.) steht Bert Brechts "Dreigroschenoper" auf dem Programm. Warum? Antworten von Volkstheater-Chef Michael Schottenberg und seinem „Mackie Messer“ Marcello de Nardo, von Schauspielhaus-Intendantin Anna Badora und ihrer Regisseurin Anna-Sophie Mahler.

KURIER: Welches Zeichen will man mit der „ Dreigroschenoper“ setzen?

Michael Schottenberg: Brecht ist der Autor der Stunde; man entdeckt wieder, was man schon überwunden dachte. Es gibt eine Rückbesinnung auf Merksätze wie „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Was passt denn besser in diese Zeit? Oder: „Es ist ein größeres Verbrechen, eine Bank zu gründen, als eine Bank auszurauben.“ Das sind ja alles Kernsätze, die wann, wenn nicht in diese Zeit passen. All diese Finanzschieber, die uns zu Tode richten...

Anna Badora: Eine Diskussion um ein Bettlerverbot hat Graz seit Anfang 2010 im Atem gehalten. Brecht beschreibt in der „Dreigroschenoper“ die Bettelei als eine Industrie, die mit Methoden der Korruption, Täuschung und Bedrohung agiert. Methoden, die auch in gesellschaftlich akzeptierten Wirtschaftsunternehmen nicht unbekannt sind. Gerade in Österreich ist das Thema Korruption und ihr Dunstkreis durchaus aktuell. Diese Debatte um das Anrecht, organisierte Bettelei zu betreiben, habe ich in Graz vermisst. Sie hätte nicht geführt werden können, ohne zugleich zu fragen, welche Methoden wir der Industrie und den Banken zur Gewinnmaximierung noch legal zugestehen.

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Bühnenfoto
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Brecht schrieb 1930 das Drehbuch zu einem „Dreigroschenfilm“, da war Macheath schon Bankdirektor...

Schottenberg: Ja. Aber mit dem Tod des Sozialismus, dem Zusammenbruch des Kommunismus, schien Brecht irgendwie aus der Mode gekommen. Eigentlich hatten wir ihn am Wegesrand verloren. Nun ist das nächste System, das zusammenbricht, der Kapitalismus. Und plötzlich ist Brecht mit seinen Thesen und klaren Aussagen der Kapitalismuskritik wieder im Zentrum des Interesses und der Wahrheit angekommen.

Wie einfach oder schwer ist es, Brecht „modern“ zu inszenieren? Die Brecht-Erben sitzen ja auf jedem Beistrich.

Anna-Sophie Mahler: Nach der anwachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ergibt sich die Modernität des Stücks von selbst. Brecht ist nicht „modern“, sondern aktuell. Die Dialektik von Kapitalismus und Verbrechen, stabilisiert durch bürgerliche Moral, stimmt Satz für Satz, Song für Song. Wir haben versucht, sie möglichst schlicht und direkt herauszuarbeiten.

„Die Dreigroschenoper“ ist ja bereits die Parodie einer Parodie. Siehe John Gays „The Beggar’s Opera“ von 1728.

Badora: Ist das wirklich so? Ich interpretiere die Dreigroschenoper eher so, dass die dort gezeigten Gauner so lange verbrecherische Methoden anwenden, bis sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Schottenberg: Die Verbrecher der 30er-Jahre waren am Rand der Gesellschaft, inzwischen sind sie in der Gesellschaft sanktionierterweise angekommen. Sie stehen im grellen Licht und schämen sich nicht.

De Nardo: Wie Berlusconi. Wer weiß, ob der nicht wiederkommt? Das ist so ein Macheath. Man glaubt, man hätte ihn an den Galgen bekommen – und zur Hintertür kommt er wieder herein. Wichtig für solche Leute ist, dass sie gut aussehen und charmant sind, zumindest eine Grundattraktivität haben. Das Jörg-Haider-Syndrom.

Schottenberg: Stimmt. Darum – um beim Beispiel Politiker zu bleiben – wählt man so etwas permanent. Ohne jemandem unschuldsvermutend zu nahe zu treten, aber das sind Ex-Minister. Warum bekommen die keinen Prozess, warum werden die nicht so gnadenlos verfolgt, wie Parksünder? Weil das Syndikat zusammenhält. Weil es sich ansonsten selber in die Luft sprengen würde.

De Nardo: Ich habe im Gegenteil das Gefühl, dass Menschen, die heute moralisches, ethisches Empfinden haben, anecken, als unangenehm empfunden werden. Wenn man keinen Egoismus, keine Rücksichtslosigkeit hat, ist man quasi ein Störfaktor.

Welcher ist Ihr Lieblingssong von Kurt Weill?

De Nardo: Die Zuhälterballade. Da menschelt’s, da hat’s Sentiment: Küssen und Schlagen.

Schottenberg: Die Moritat von Mackie Messer. Das ist der größte Gassenhauer!

Mahler: Die Moritat, die Macheaths grausige Schandtaten besingt, ist zu dem Hit der Dreigroschenoper geworden. Sie beginnt bei uns im Parkett, weil sie dort jeder mitsummen kann. Die Figuren sind ja keine Revolutionäre, sondern haben sich, wie wir, im System eingerichtet. Die Darsteller aber konfrontieren uns mit dem Gedanken, dass wir nur eine Moral haben und ansonsten auf dem Niveau des gefräßigen Tiers funktionieren.

Zum Stück

Die Dreigroschenoper, 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt, von Bertolt Brecht und Kurt Weill kreist um den Konkurrenz- und Existenzkampf des Londoner Bettlerkönigs Peachum und des Gauners Macheath, der gute Beziehungen zum Polizeichef und dessen Tochter pflegt. Was ihn dennoch nicht vor dem Galgen rettet... Die Uraufführung stand unter keinem guten Stern: Kurt Weill verschaffte seiner Frau Lotte Lenya die Rolle der Spelunken-Jenny, aber „Peachum“ Peter Lorre stieg im Streit aus.1933 wurde das Stück von den Nazis verboten, 1949 war Hans Albers an den Münchner Kammerspielen der Macheath.
Legendär war 1956 die Inszenierung von Giorgio Strehler am Mailänder Piccolo Teatro, die 30 Jahre lief, u. a. mit Milva, Barbara Sukowa und Michael Heltau. Von der Kritik skeptisch aufgenommen wurde Klaus Maria Brandauers Regie 2006 im Berliner Admiralspalast. Campino spielte Mackie Messer, an seiner Seite standen Maria Happel als Spelunken-Jenny, Gottfried John als Peachum und Birgit Minichmayr als Polly.

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