Theresia Walser: "Bin Architektin für Nervenzusammenbrüche"
Am Sonntag, 18.8.. wird bei den Salzburger Festspielen "Die Empörten" von Theresia Walser uraufgeführt. Die Dramatikerin, 1967 in Friedrichshafen geboren, ist die jüngste Tochter des Schriftstellers Martin Walser. Der KURIER traf sie im Café Bazar.
KURIER: Ist der Name Walser Bürde oder Ansporn?
Theresia Walser: Weder das eine, noch das andere. Er ist einfach mein Nachname.
Nach der Matura absolvierten Sie ein soziales Jahr. Und dann wollten Sie Schauspielerin werden?
Eigentlich Sängerin. Singen war lange der Haupttraum von mir. Aber ich kriegte Anfang 20 Probleme mit der Stimme – und bin dann auf die Schauspielschule in Bern, weil ich dachte, dass sie sich wieder erholen würde.
Und dort kamen Sie zum Schreiben?
Ja. Es gab öfters die Gelegenheit, etwas aufzuschreiben – und daraus zu improvisieren. Als Abschlussarbeit spielte ich keine vorhandene Szene, sondern ich schrieb eine. Ich merkte, dass ich bestimmte Frauenrollen spielen wollte, aber sie nicht vorfand. Und das setzte sich bei meinem ersten Engagement fort. Ich schrieb mir selbst einen Monolog und war am Ende froh, dass andere den spielten und nicht ich. Ich gehörte nie zu den Schauspielern, die aus ihrem Lampenfieber das beste machen.
Wie geht’s Ihnen als Autorin bei einer Uraufführung?
Genau gleich, aber ich stehe damit nicht auf der Bühne. Ich sitze irgendwo – und trinke vielleicht ein Glas Chardonnay. Aber nicht unbedingt in der Kantine, wo man über den Lautsprecher mithören kann, was auf der Bühne passiert. Also schon weiter weg!
Grenzen Sie sich dadurch, dass Sie Stücke schreiben, von Ihrem Vater ab, der vor allem ein Romancier ist?
Sie können das so interpretieren, daran ist nichts falsch. Vielleicht war es ein Beweggrund. Für mich hat das Schreiben aber immer mit der Bühne zu tun gehabt.
Auch Ihre neue Komödie „Die Empörten“ wird von Burkhard C. Kosminski zur Uraufführung gebracht. Die Zusammenarbeit währt bereits lange. Wie kam es dazu?
Er fing 2006 als Intendant in Mannheim am Nationaltheater an und fragte mich, ob ich nicht etwas für die Eröffnung schreiben könne. Das war „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“, ein typisches Vorderbühnenstück, das man schnell aufbauen und daher, wenn eine Vorstellung ausfällt, einschieben kann.
Drei Schauspieler, die schon einmal Hitler beziehungsweise Goebbels verkörpert haben, bereiten sich auf eine Podiumsdiskussion vor ...
Das lief sehr gut. Viele Theaterleitungen trauen der neuen Dramatik nicht zu, dass sie auch große Häuser füllt. Aber Kosminski hatte den Mut. Und das Publikum ist gekommen. So kam es immer wieder zu Aufträgen. Ich habe dann gezielt für Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Ensemble geschrieben. Schauspieler bringen mich auf Figurenideen, auf die ich vielleicht so gar nicht gekommen wäre.
Dieses Stück haben Sie für Caroline Peters geschrieben?
Ja. Caroline Peters hat vor vielleicht 20 Jahren an der Schaubühne einen Monolog von mir gespielt. Wir lernten uns damals kennen. Ihre Komödienmusikalität ist ein Glück für diese Rolle. Wie sie in Texten noch jede feinste Nuance erspürt und dabei einen komischen Furor entfacht, ist großartig!
In Ihren Stücken gibt es in der Regel eine Grundsituation, die eher unwahrscheinlich ist. In diesem Fall geht es um eine Leiche, die von Corinna Schaad, Bürgermeisterin in Irbertsheim, zum Verschwinden gebracht werden soll – just im Rathaus. Wie kamen Sie denn darauf?
Diese Truhe ist ja vorbelastet, sie zieht den Corpus Delicti irgendwie an. In ihr habe sich, wird behauptet, Luther vor seinen Verfolgern versteckt, und man hätte geplant, in ihr Hitler heimlich aus dem Bunker zu transportieren. Also: In ihr ist einiger Geschichtsballast „eingetruht“. Dass die Bürgermeisterin ausgerechnet da die Leiche versteckt, finde ich, von ihr aus gesehen, gar nicht so falsch. Denn die Truhe hat sie am ehesten unter Kontrolle.
Diese Setzung erinnert an Komödien von Louis de Funès oder an „Arsen und Spitzenhäubchen“, denn der Fuß ragt aus der Truhe heraus.
Wenn man eine Leiche in einer Truhe versteckt, öffnet man damit natürlich immer auch einen Türspalt zum Schwank. Man denkt an „Cocktail für eine Leiche“ von Alfred Hitchcock. In fast allen meinen Stücken ist irgendwo eine Leiche verborgen. Sie ist eine gute Grundlage für Komik. Es entladen sich ganz andere Existenzgewitter, wenn schon mal einer hat dran glauben müssen.
„Cocktail für eine Leiche“ ist ein Film in Echtzeit – an einem einzigen Schauplatz. Sie achten generell stark auf die aristotelische Einheit.
Ja, ich bin eine große Anhängerin von Zeit, Ort und Handlung. Diese Unausweichlichkeit sorgt bestenfalls für höllische Situationen.
Sie wollen eine Situation immer auf die Spitze treiben?
Als Dramatikerin ist man so eine Art Architektin für Nervenzusammenbrüche.
Ein zentrales Thema ist der „Religionskäse“. Wie stehen Sie zum Konflikt Christentum und Islam? Es fällt der empörte Ausdruck „Selbstauslöschungsorgasmus“.
Das ist eine dieser verschrobenen Übertreibungen der Bürgermeisterkandidatin Elsa Lerchenberg. Auf fatale Weise findet ja auch in diesen rechten Lagern eine Willkommenskultur statt. Die Fremden sind willkommen, um endlich Unzufriedenheiten, diffusen Unmut und Hass zu kanalisieren. Die Welt wird wieder übersichtlich. Ein klares Feindbild ist immer wieder eine willkommene Entlastung. Dazu muss man keine einzige Erfahrung mit einem Fremden gemacht haben. Elsa Lerchenberg weiß, wie man da die Gunst der Stunde nutzt. Sie wäre vor ein paar Jahren in einem Nebenzimmer lebend versackt, wie Corinna einmal sagt.
Aber auch die „Bürgermeisterinnenzecke“ hat sehr unangenehme Eigenschaften.
Ja, sie wird nicht als eine vorbildliche, linksliberale Politikerin gezeichnet. Sie hat Fehler gemacht, ganze Stadtviertel umgemodelt, Sozialwohnungen verscherbelt. Seither ist die Stadt zwar schuldenfrei, aber natürlich hat das Wunden geschlagen.
Sehen Sie sich als politische Autorin?
Ich frage mich immer: Was wäre ein absolut unpolitisches Stück? Das wäre dann eine Kontrahaltung – und auch schon wieder politisch. „Die Empörten“ haben sicherlich mehr noch als frühere Stücke, mit der gegenwärtigen politischen Situation zu tun, aber nicht im Sinne einer Wirklichkeitsabbildung. Dieses Stück ist eher eine bizarre Echokammer gegenwärtiger Konflikte. Dass in unserer westlichen Welt eine makabere Abdrift nach rechts stattfindet, lässt sich ja seit ein paar Jahren leider nicht mehr übersehen. Spätestens seit in den USA ein Präsident im Amt ist, der offen rassistisch, frauenfeindlich und moralisch unter aller Sau ist, sind alle Schleusen geöffnet.
Ihre Stücke sind in der Regel für drei bis sieben Personen geschrieben. Weil Sie aus der Praxis kommen?
Ich mag es, wenn alle Figuren gleichzeitig auf der Bühne sind und das auch aushalten müssen. Ich hatte mal ein Stück über eine Zuggesellschaft von rund zehn Figuren. Das wird dann schon schwierig.
Postdramatisches Theater ist nicht das Ihre?
Ich kann Textflächen absolut etwas abgewinnen. Es gibt viele Regisseure, die sich lieber aus Texten ihre Stücke selbst zusammenbauen, als dass sie mit einer bestehenden Stückarchitektur arbeiten. Aber ich hänge nun mal am Dialog. Im dialogischen Pingpong lassen sich Konflikte ganz anders zuspitzen.
Haben Sie schon ein nächstes Projekt?
Das Stockholmer Staatstheater brachte eine schöne Aufführung von „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ und fragte mich, ob ich nicht was für deren Doyenne schreiben könnte. Das werde ich machen.
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