Doppelfinger: "Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung"

Doppelfinger: "Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung"
Der österreichische Singer-Songwriter Clemens Bäre veröffentlicht als Doppelfinger sein Debütalbum. Zum Weinen schön.

Der aus Oberösterreich stammende Musiker Clemens Bäre veröffentlicht als Doppelfinger sein Debütalbum mit dem Titel „By Design“. Darauf versammelt der Liedermacher, der bereits mit Oska oder Sophie Lindinger (Leyya) zusammengearbeitet hat, stille und in sich gekehrte Songs, die von kleineren und größeren Tragödien erzählen. Aber bei all dieser düsteren Dramatik und  bei all diesem  Seelenleid gehen sich  auch einige sonnige Momente aus. Die Hoffnungslosigkeit macht also zwischendurch auch einmal Pause. Der Schritt, ein Album zu veröffentlichen, sei dem Singer-Songwriter  nicht einfach gefallen, wie er dem KURIER erzählt. „Es war für mich ein Schritt zu sagen: ,Ich verstecke mich jetzt einmal nicht – vor mir selbst oder der Welt’.“ Soundmäßig umweht die  Songs eine charmant-verschlafene Lo-Fi-Ästhetik. Immer wieder schimmert der Einfluss des frühen Bob Dylans zwischen den Zeilen durch. Schön auch, wenn der 24-Jährige zur Mundharmonika greift und sich nach einem „Place To Go“, einem besseren Ort sehnt. 

KURIER: Musik ist für Sie eine Art Therapieform. Vor was genau müssen Sie sich therapieren?
Doppelfinger: Ich verarbeite in meinen Texten einfach viele persönliche Situationen und Emotionen. Ob das eine Art der Therapie ist sei dahingestellt. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass wenn ich ehrlich mit mir umgehe und kommuniziere, dann ist die Musik gefühlt auch nahbarer.

Wenn man solche persönlichen Songs veröffentlicht, gibt man viel von sich preis, macht sich verwundbar. Wie schwer ist Ihnen dieser Seelenstrip gefallen?
Schreiben ist nicht schwer, im Gegenteil. Veröffentlichen und es dann versuchen, zu erklären, schon eher. Manchmal irritiert es einfach, wenn man das Gefühl hat, es gehe mehr um einen selbst als um die Musik. Für mich ist es einfach wichtig, ehrlich mit mir umzugehen. Natürlich macht man sich mit solchen Texten verletzlich, aber nur hat Musik und Lyrik das Potenzial, anderen Verständnis zu schenken.

Wie sind Sie musikalisch aufgewachsen? Wann haben Sie Folk für sich entdeckt?
Klassische Geschichte: Musikalische Familie, Blockflöte, Posaune, etc. So richtig eigenständig gemerkt, wie wichtig mir Musik ist, habe ich, als ich die Gitarre für mich entdeckt habe, und dann trotz meiner Ungeduld versucht habe, mir das spielen so gut wie möglich selbst beizubringen. Über die doch recht simpel gestrickten Folk-Klassiker, zum Beispiel von Pete Seeger, Dylan, Guthrie, bin ich wohl einfach in diese Schiene gerutscht. Irgendetwas hat sich da einfach sehr richtig angefühlt - und das tut es bis heute.

Gab es da neben Bob Dylan, den man in Ihrer Musik u. a. klar erkennen kann, auch noch andere, jüngere Künstler, die Sie beeinflusst haben?
Klar! Über die Entstehungszeit des Albums habe ich Acts wie David Berman, Elliot Smith, Tallest man on Earth, Adrianne Lenker und Aldous Harding sehr ausgiebig gehört. Dylan war einfach der typische Teenie-Hero meinerseits, der dadurch natürlich prägend war, jedoch mittlerweile nicht mehr das Non plus ultra. Ich versuche mich nicht nur auf Folk zu fokussieren, was meine Musik Konsumation betrifft. Je weiter mein Geschmack reicht, desto weiter kann ich auch mit meiner Musik denken. Somit bin ich als Konsument von Musik in sehr unterschiedlichen Richtungen unterwegs. Vielleicht fehlt mir aber auch einfach der Zugang zu Trap und moderneren Pop Produktionen, das muss ich schon zugeben

Was zeichnet Ihren Zugang zum Songwriting aus?
Schwierig zu sagen. Ich schreibe auf jeden Fall sehr isoliert und das merkt man glaube ich, wenn man sich das Album anhört. Obwohl ich doch sehr aus meiner persönlichen Perspektive schreibe, bin ich doch sehr bedacht darauf, wahrheitsgemäß, ehrlich und emphatisch anderen gegenüber zu schreiben.

Was sind die Hauptthemen auf Ihrem Debütalbum?
Für mich steht auf jeden Fall das Thema des Aufbrechens, des Ausgrabens im Zentrum. Etwas ausheben, sich genau ansehen, damit es sich somit dann verflüchtigen kann. Der Schritt, ein Album welches doch so persönlich ist, zu veröffentlichen ist für mich alleine schon ein ausbrechen aus alten Mustern und ein Schritt zu sagen: "Ich verstecke mich jetzt einmal nicht” - vor mir selbst oder der Welt. Dieses Thema wird am Album lyrisch angesprochen, aber auch über den simplen Akt der Veröffentlichung kommuniziert.

Welche Geschichte wollen Sie mit „A Place To Go erzählen?
Für mich ist mein Album ein erstes „Hallo” meinerseits. Das Thema das sich für mich durchzieht ist ein Spiegeln von Dingen. Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung, ohne Gut kein Schlecht, ohne Einschränkung keine Freiheit, usw. Ich versuche dies in meiner Musik zum Beispiel mittels des Gegenüberstellens von “schön” klingenden Harmonien zu Texten, die dann eher weniger schöne Dinge behandeln. Ich möchte weder tiefe Traurigkeit, noch immense positive Ideen kommunizieren. ich möchte beide gegenüberstellen und behandeln.

Würden Sie sich als Geschichtenerzähler in Dylan-Manier bezeichnen, oder welches Storytelling bevorzugen Sie. Dylan ist ja textlich eher auf einer Metaebene unterwegs.
Ich sehe mich derzeit immer mehr in die Richtung eines Geschichtenerzählers abdriften. Gefühlt habe ich das aber ein wenig lernen müssen, also weniger aus der eigenen Situation zu schreiben. Auf diesem Album hatte ich aber auch einfach das Bedürfnis, mich auf musikalischem Wege selbst zu erklären.

„A Place To Go“ klingt so, als wäre er in den 60er-Jahren aufgenommen worden. Verwendest du dann dafür auch Mikros aus dieser Zeit, belegt man das dann am Computer mit irgendwelchen Vintage-Filtern?
„A Place To Go“ ist eine Hommage an die Musik, mit der ich mich in meiner Jugend am meisten auseinandergesetzt habe. Deswegen auch die doch etwas überspitzten Klischees, insbesondere zu sehen im Musikvideo. Somit lag es sehr nahe das Lied auch dementsprechend aufzunehmen. Natürlich sind Tape-Maschinen aus den 60ern jetzt nicht einfach zugänglich, somit haben wir das ganze mittels eines Tape-Decks auf Kassette aufgenommen. Das ist in etwas dasselbe Prinzip und man erhält dadurch ebenfalls einen ansprechenden Lo-Fi-Sound.

Wie wichtig ist Ihnen diese Low-Fi-Schlafzimmer-Sound-Ästhetik?
Die war vermutliche mehr den Umständen geschuldet, als dass Sie unser Ziel im Aufnahmeprozess war. Also natürlich wollten wir das Album nicht abdriften lassen in eine überproduzierte Popproduktion, aber klar hört man raus, dass wir auch große Teile des Albums in der Ein-Zimmer Wohnung meines Produzenten im 16. Bezirk aufgenommen haben. Finde ich aber eigentlich auch nicht so unpassend.

Sie haben bereits mit unterschiedlichen Menschen zusammengearbeitet: Sophia Lindinger (Leyya), Maria Burger alias Oska, Lukas Lauermann… Hat sich da in Wien in den vergangenen Jahren ein Pool von herausragenden Musikern/Künstlern entwickelt, sind da Freundschaften entstanden? Hilft und unterstützt man sich da?
Die Musikblase in Wien ist eine schöne. Also aus meiner Erfahrung gibt’s da wenig Konkurrenz, die meisten haben mit ähnlichen Sorgen zu kämpfen und verstehen sich somit einander sehr gut. Auch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist sehr groß, einfach weil es auch interessant ist sich kreativ außerhalb seines eigenen Projektes auszuleben. Ich habe hier selten Konkurrenzkämpfe erlebt, und in Bezug auf mein Projekt immer Unterstützung seitens der anderen Künstlerinnen und Künstler gefunden.

Der verträumte Folkie, der mit seiner Gitarre über Stock und Stein, über Wiesen und durch Wälder spaziert. Was gefällt Ihnen an diesen Klischees, an diesem Outsider-Gedanken?
Ich denke über mich auch nicht als eine Art Outsider. Ich bin vielleicht isolierter als manch anderer, aber ich romantisiere das weder, noch strebe ich danach, als solch einer angesehen zu werden. Ich mache die Musik die sich für mich am meisten nach mir selbst anfühlt und das war es dann auch schon.

War von Anfang an klar, dass Sie die Texte auf Englisch schreiben?
Ja. Aufgrund der Einflüsse einfach. Väterlicherseits wurde da gern Ambros und Co. dafür kritisiert, dass manche der größten Hits dieser Menschen einfach eingedeutschte Americana Klassiker sind. Irgendwie war mir das dann auch klar, dass ich nicht einen solchen Weg gehen möchte.

Zum Abschluss noch eine Frage zu Doppelfinger: Was bedeutet dieser Name?
Ich habe auf meiner rechten Hand einen zweiten kleinen Finger. Diesen hat meine Mutter Doppelfinger getauft. Auf der Suche nach einem Projektnamen, wollte ich etwas sehr Persönliches, mit dem ich mich identifizieren kann. Trotzdem soll er weit genug von mir als Person weg sein. Relativ unspektakulär.

Ihre drei Folk-Lieblingssongs?

„From the morning“ – Nick Drake

"Both sides now" – Joni Mitchell

"I was young when i left home" – Bob Dylan

Doppelfinger: "Ohne Hoffnungslosigkeit keine Hoffnung"

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