An der Wiener Staatsoper hat – auch in künstlerischer Hinsicht – eine neue Zeitrechnung begonnen. War es in den vergangenen Jahren durchaus üblich, einen prominenten Namen einzukaufen, diesen in ein oft mediokres Umfeld zu stecken und dennoch auf den Zuspruch des Publikums zu hoffen, so ist das nun anders. Denn seit Bogdan Roščić das Steuer des Operntankers am Ring übernommen hat, geht es nicht um bloßen Staraufputz, sondern um zeitgemäßes, packendes Musiktheater als Gesamtkunstwerk.
Das war auch bei der Wiederaufnahme der fünfstündigen (inklusive Pausen) fünfaktigen, französischen Urfassung von Giuseppe Verdis „Don Carlos“ zu erleben.
Und ja, mit Jonas Kaufmann war und ist (Reprisen: 1., 4., 7. und 11. Oktober) in dieser Produktion ein Weltstar zu erleben. Aber – und das ist das wirklich Erfreuliche – dieser „Don Carlos“ ist keine reine Jonas-Kaufman-Show, sondern der Triumph eines grandiosen Ensembles.
Rückkehr
Das beginnt im Orchestergraben, wo nach Franz Welser-Möst ein weiterer, einst ebenfalls im Unfrieden geschiedener Dirigent sein lang ersehntes Comeback gibt. Bertrand de Billy, der sich auch um diese Verdi-Rekonstruktion extrem verdient gemacht hat, ist der richtige Mann, um „Don Carlos“ musikalisches Leben einzuhauchen. Extrem nuanciert, dramatisch, zugleich innig gestalten De Billy und das überaus philharmonische Orchester die Partitur. Die Einheit zwischen musikalischer Gestaltung und Bühnengeschehen ist exemplarisch.
Debüt
Dies kommt auch den Interpreten zugute, die von De Billy zwar gefordert, aber auch auf Händen getragen werden. So ist Jonas Kaufmann bei seinem Wiener Rollendebüt ein ideal schmachtender Carlos, der stimmlich und darstellerisch mit seinem schönen, ins Baritonale gehenden Tenor keine Wünsche offenlässt.
Doch auch neben Kaufmann spielt es sich im wahrsten Sinne des Wortes richtig ab. Wann hat man zuletzt so einen intensiven, kraftvollen Rodrigue gehört, wie von Bariton Igor Golovatenko, der bei seinem Debüt am Ring zurecht mit Bravos quasi überschüttet wurde. Igor Golovatenko – diesen Namen sollten sich Opernfreunde merken.
Wie jenen der Schweizer Mezzosopranistin Eve-Maud Hubeaux als in jeder Hinsicht fantastische Prinzessin Eboli. Auch diese Debütantin ist ein Geschenk für die Staatsoper. Ebenfalls neu: Die schwedische Sopranistin Malin Byström als schön singende Elisabeth de Valois. Sie alle will man oft wieder hören.
Dazu kommen der stets souveräne Michele Pertusi (als Einspringer für den an Corona erkrankten Ildar Abdrazakov) in der Rolle des Philippe II, Roberto Scandiuzzi als sicherer Großinquisitor, Dan Paul Dumitrescu sowie Virginie Verrez, Robert Bartneck und Johanna Wallroth – bei Stimmen kennt sich Bogdan Roščić definitiv aus!
Und noch eines ist großartig: Peter Konwitschnys so hinreißend kluge und bitterkomische Inszenierung aus 2004 provoziert manche Zuseher immer noch zu heftigen Bravo-und Buhrufen. Auch das soll sein. Denn die „alte“ Kunstform Oper – am Ring lebt sie (wieder).
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