Dominique Meyer: "Zwei Premieren mit Anna Netrebko"

Staatsoperndirektor Dominique Meyer
Staatsopern-Chef Dominique Meyer zieht Bilanz – und kündigt im Interview ein paar Höhepunkte an.

KURIER: Der Rechnungshof hat die Prüfung des Burgtheaters abgeschlossen. Seit dieser Woche durchleuchtet er die Staatsoper. Wird er fündig werden?

Dominique Meyer: Das ist normal. Er findet immer etwas. Aber wir haben keine Leichen im Keller. Wir sind schon geübt im Geprüftwerden.

Aus dem soeben veröffentlichten Geschäftsbericht 2014/’15 wird ersichtlich, dass der Jahresfehlbetrag knapp 580.000 Euro ausmachte.

Das ist die Bilanzarithmetik. Wir haben aber um zwei Millionen Euro besser abgeschnitten, als im Budget vorgesehen, und einen Einnahmenrekord erzielt. Von 1999/2000 bis 2009/2010 – das sind elf Jahre – stiegen die Einnahmen von 25,35 auf 29,16 Millionen, also um 3,8 Millionen Euro. Vergangene Saison waren es bereits 34 Millionen. Das heißt: Wir konnten die Einnahmen in nur fünf Jahren um 4,8 Millionen steigern. Ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich.

Tatsächlich?

Ja, weil ich die internationale Situation betrachte. Auch wenn Sie unsere Auslastungszahlen manchmal vielleicht belächeln: Es gibt sehr wohl Produktionen, die sich nicht von allein verkaufen. Trotzdem liegt die Auslastung bei 99 Prozent. Ich habe lieber unsere hohe Auslastung als z.B. jene der Metropolitan Opera, die etwa um ein Drittel niedriger ist.

Man hört, dass an der Met manche Aufführungen gar nur zu einem Drittel ausgelastet sind.

Und das sind gute Aufführungen! Ja, das ist schockierend. Ich war vor ein paar Tagen in New York. Peter Gelb, der Generaldirektor, ist ziemlich verzweifelt. Auch deshalb, weil er nicht wirklich nachvollziehen kann, warum die Besucherzahlen derart zurückgegangen sind.

Sind diese Auslastungszahlen nicht ein Zeichen dafür, wie fragil das Genre geworden ist?

So ist es. Bei unserer Budgeterstellung gehen wir von einer sehr hohen Auslastung – und damit von hohen Einnahmen – aus. Aber man darf nicht darauf bauen. Die Auslastung kann schwanken! Das hängt auch von äußeren Faktoren ab. Wenn etwa die russischen oder japanischen Touristen ausbleiben, dann hat das nichts mit dem Niveau der Staatsoper zu tun, sondern mit dem Rubel, dem Yen und dem Ölpreis. Oder mit der österreichischen Nationalmannschaft. Ich denke schon, dass wir im Juni, wenn sie bei der EM in Frankreich spielt, drei schlecht besuchte Abende haben werden.

Sie haben die Preise stark angehoben. Geht das so weiter?

Nein. Man kann nicht immer an der Schraube Preiserhöhung drehen. Denn wenn die Karten zu teuer werden, besteht die Gefahr, dass die Menschen nicht mehr kommen. Ich möchte die Beziehung zum Wiener Publikum keinesfalls gefährden. Es gibt viele Besucher aus Wien, die zwei- oder dreimal pro Woche kommen. Peter Gelb hat festgestellt, dass er zwar mehr Besucher hat, aber sie kommen seltener. Das möchte ich nicht. Daher muss man bei der Preisgestaltung wirklich aufpassen.

Bei der Vermarktung ist die Met aber sehr erfolgreich: Die Übertragung in Kinosäle wird begeistert angenommen. Das Live-Streaming der Staatsoper ins Wohnzimmer hingegen verursacht pro Jahr Kosten in der Höhe von etwa 750.000 Euro, im Durchschnitt gab es aber nur 200 bis 300 Zugriffe.

Wir haben die Fähigkeit der Menschen, mit dem Computer umzugehen, falsch eingeschätzt. Und wir haben nicht bedacht, dass viele eine schlechte Internetverbindung haben. Daher stockte mitunter die Übertragung. Vor ein paar Wochen haben wir unser System umgestellt. Die Ergebnisse sind nun sehr gut. Wir sind über A1, AppleTV und Amazon erhältlich, wir werden bei UPC einsteigen. Seit Dezember haben sich 430 neue Kunden für ein Monats- oder Jahresabonnement entschieden. Die Richtung stimmt! Von "Rigoletto" wurden 1200 Streams gebucht. Nicht schlecht! Eine Opern-Übertragung kostet uns 6000 Euro, das ist sehr günstig. Wir sind daher für TV-Anstalten ein attraktiver Partner. Und noch etwas: In der letzten Spielzeit haben 160 Schulklassen unser digitales "Live at school"-Angebot genutzt. Wir müssen die Jugend für die Oper begeistern. Da sind wir auf einem guten Weg.

Das Kinderzelt am Dach musste aus Denkmalschutzgründen abgebaut werden, seit dem Herbst bespielt die Staatsoper das Theater Walfischgasse. Günter Rhomberg, Geschäftsführer der Bundestheaterholding, meinte, dass man Kinder nicht in den Keller schickt. Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?

Die Bezeichnung "Keller" finde ich nicht angebracht. Ich weiß, der Theaterraum ist unterirdisch, aber wenn man einmal drinnen ist, merkt man das nicht . Es funktioniert wunderbar. Der Vorverkauf für "Pünktchen und Anton" ist hervorragend, alle Schulvorstellungen sind bereits ausverkauft. Es ist uns aber wichtig, dass es auch Aufführungen im großen Saal gibt. Aus diesem Grund haben wir die Oper "Fatima" von Johanna Doderer gespielt. Insgesamt hatten wir in der letzten Saison 16.200 Kinder in unseren Vorstellungen, heuer werden es weit über 22.000 sein. Das ist ein respektables Ergebnis.

Die Mietkosten für die Walfischgasse sind aber relativ hoch.

Wir nutzen das Theater daher auch für Tanzdemonstrationen der Ballettschule, Konzerte der Opernschule und Künstlergespräche. Diese Abende kosten keinen Groschen, aber wir haben viele Besucher. Man kommt gerne in die Walfischgasse.

Halten Sie weiterhin an der fixen Höchstgage fest – auch für Stars wie Jonas Kaufmann?

Ja. Es geht nicht anders. Jonas Kaufmann wird trotzdem eine Premiere singen: "Die Frau ohne Schatten", die wir 2019 zum Jubiläum (Uraufführung vor 100 Jahren, Anm.) machen. Alvis Hermanis führt Regie, Christian Thielemann dirigiert.

Können Sie noch etwas ankündigen? Gibt es neue Rollen für Anna Netrebko?

Ja, wir planen zwei Premieren. Die eine werde ich bereits in einem Monat bekanntgeben – wenn ich das Programm für die nächste Saison vorstelle.

Das muss "Il trovatore" sein.

Vielleicht. (Er lacht.) Anna Netrebko wird sechs Vorstellungen singen. Ich bin wirklich glücklich.

Sie waren angeblich nicht so glücklich, dass Desirée Treichl-Stürgkh bereits bei der Opernball-Pressekonferenz ihren Abschied verkündete.

Das stimmt. Die Idee war, Rücktritt und Nachfolge gleichzeitig bekanntzugeben. Aber ein paar Minuten vor der Pressekonferenz sagte sie mir, dass sie es nicht länger verschweigen könne. Das kann ich verstehen. Ich mache ihr keinen Vorwurf. Sie hat neun Jahre lang sehr gut gearbeitet – und das gratis. Von uns aus hätte sie gerne weitermachen können.

Welche Dame der Gesellschaft kommt nun zum Zug?

Es muss nicht unbedingt eine Frau sein.

Wann werden Sie die Entscheidung getroffen haben?

Wenn sie reif ist. Ich glaube nicht, dass die Republik in ihren Grundfesten erschüttert wird, wenn ich mir noch etwas Zeit lasse. Aber ich gebe zu: Dass die Nachfolge-Frage derart debattiert wird, finde ich schon etwas übertrieben.Ich liebe den Opernball. Aber die Vorbereitung für die Erstaufführung von "Tri Sestri" von Péter Eötvös ist mir doch wichtiger.

Bei der Uraufführung vor 18 Jahren wurden die drei Schwestern mit Countertenören besetzt. Jetzt kommen Frauen zu Einsatz. Um die Oper repertoiretauglich zu machen?

Wir haben keinen Countertenor im Ensemble. Die drei Schwestern mit Countertenören zu besetzen, wäre schwierig, denn wir bräuchten ja auch drei Ersatzsänger. Das wären zu viele Gäste. Da das Libretto auf Russisch ist, habe ich Eötvös vorgeschlagen, die Partien mit russischen Sängerinnen zu besetzen, die ideal wären. Er stimmte zu. Er ist übrigens begeistert und nennt es "Wiener Fassung".

Abgesehen vom Genre Kinderoper gab es schon lange keine Uraufführung mehr. Bleibt es dabei, dass Olga Neuwirth eine Oper komponiert?

Natürlich! Ich glaube, dass die Zukunft den Frauen gehört. Auch als Dirigentinnen. Es werden zum Beispiel Susanna Mälkki und Speranza Scappucci an der Staatsoper debütieren.

Sie sollen zudem eine Oper bei Johannes Maria Staud in Auftrag gegeben haben.

Wir haben bis 2020 drei "große" Werke in Auftrag gegeben und zwei Opern für Kinder. An wen, werden wir zeitgerecht bekanntgeben.

Wer fungiert als Librettist? Peter Turrini? Er schrieb das Libretto zur Oper "Der Riese vom Steinfeld" von Friedrich Cerha, die 2002 uraufgeführt wurde.

Peter Turrini hat mir ein tolles Projekt vorgeschlagen, das ich gern realisieren möchte. Vielleicht gelingt es mir.

Bis zum Sommer 2020?

Ja. Ich darf ja nicht über das Ende meines Vertrags hinaus programmieren.

Kulturminister Josef Ostermayer will bereits heuer die Direktion ausschreiben. Werden Sie sich bewerben?

Meine zweite Amtszeit hat ja erst vor einem halben Jahr begonnen. Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht will ich ab 2020 lieber Streichquartette organisieren? Das einzige, was ich sagen kann: Ich bin in Wien glücklich.

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