Doku über Holocaust-Trauma: Erzogen, um zu überleben
Kathleen Orosz-Klein hat den Holocaust nicht erlebt. Ihre Mutter Angela schon.
Angela Orosz wurde in Auschwitz geboren. Ihre Mutter Vera, eine ungarische Jüdin, war gerade im zweiten Monat schwanger, als sie in das Vernichtungslager deportiert und von dem berüchtigten NS-Arzt Mengele für „medizinische Versuche“ missbraucht wurde. Als Mengele erfuhr, dass sie ein Kind erwartete, hatte er nur zwei Worte für sie: „Dumme Gans.“
Angela kam als winziges Baby zur Welt und überlebte.
Heute ist sie selbst eine alte Dame und hat eine erwachsene Tochter, Kathleen Orosz-Klein, genannt Kati. Ihr hat sie vor allem eines vererbt: ein Holocaust-Trauma.
Die Doku „Geboren in Auschwitz“, (heute, Mittwoch, 23.05 Uhr auf Arte) ist ein aufwühlendes Generationenporträt der ungarischen Filmemacher Eszter Cseke und András Takács. Dramatisch zeichnet es die Auswirkungen der jüdischen Massenvernichtung bis in die dritte Generation von Holocaust-Überlebenden nach – und eröffnet ein weites Feld an Spannungspotenzial. Zwischen der „Survivor“-Generation und ihren Nachkommen – Kindern und Enkeln – wird die Erfahrung der Schoah häufig zum Konflikt.
„Ich wurde dazu erzogen, ein ‚Survivor‘ zu sein und immer und überall überleben zu können“, erzählt Kati Orosz-Klein über ihre Kindheit als Tochter einer Holocaust-Überlebenden: „Ich habe keine glückliche Erinnerung daran.“
Erzogen werden, um zu überleben, hieß beispielsweise, bereits im Alter von drei Jahren alleine einkaufen gehen zu müssen und mit zehn die Stadt und ihre öffentlichen Verkehrsmittel zu beherrschen. Es bedeutete auch, möglichst keine Gefühle zu zeigen, weil Gefühle als Schwäche ausgelegt wurden. Und wer schwach ist, kann nicht überleben.
„Der Holocaust war immer präsent“, erinnert sich Kati Orosz-Klein. In der Nacht wurde sie in Albträumen von Bildern eines Krieges gequält, den sie selbst gar nicht erlebt hatte. Zudem sei sie von ständigen Schuldgefühlen geplagt gewesen, die ihr einredeten: „Du darfst nichts genießen, weil es den Holocaust gab.“
Keine Gefühle zeigen
Heute ist Kati Orosz-Klein selbst Mutter mehrerer Kinder und versucht, die Fehler ihrer Erziehung zu vermeiden. Soll heißen: Das von der Mutter geerbte Trauma nicht wieder an ihre eigenen Kinder weiterzugeben; Gefühle zuzulassen und zu zeigen.
Nicht nur die Tochter, auch Angela kommt zu Wort. Eindringlich erzählt sie von den haarsträubenden Umständen ihrer Geburt in Auschwitz und den schweren Jahren, die danach folgten. Auch sie findet Gelegenheit, ihre Sicht auf die Beziehung zur Tochter darzulegen.
Die Filmemacher begleiten Mutter und Tochter auf einer Reise nach Israel und beobachten sie in ihrem häuslichen Alltag im heutigen Montréal. Angelas Erinnerungen an Krieg und Nachkrieg bebildern sie mit Archivmaterial, Familienfilmen oder zarten, animierten Bleistiftzeichnungen.
Die unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden Frauen – die Besorgtheit der Mutter, die Verbitterung der Tochter – treffen sich schließlich in direkter Konfrontation in einer Art von Therapiesitzung und finden zu emotionalen Höhe- und Tiefpunkten: „Du hast dich nicht geliebt gefühlt?“, fragt Angela ihre Tochter. „Nein“, sagt diese: „Ich fühlte mich gehasst.“
„Geboren in Auschwitz“ umzingelt das Trauma zwischen den Generationen mit Sensibilität, Achtsamkeit und Einfühlung – und bietet dadurch selbst eine Art Plattform für Traumabewältigung.
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