Dirigentin Giedrė Šlekytė: Man muss für diesen Beruf "Einiges aufgeben"
Dirigentin Giedrė Šlekytė leitet am Freitag im Theater an der Wien Schumanns „Das Paradies und die Peri“. Und spricht über Perfektionismus, Work-Life-Balance und Inspiration.
Bei seiner ersten Premiere in Wien – Janaceks „Schlauem Füchslein“ – ist dem damals neuen Intendanten Stefan Herheim „ein Coup gelungen. Wie die litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė schöne Klangfarben hervorzaubert, was sie aus dem Orchester herausholt, ist bemerkenswert. Diese Dirigentin will man öfter hören“, schrieb KURIER-Kritiker Peter Jarolin damals.
Am Freitag nun ist Giedrė Šlekytė wieder im Theater an der Wien zu hören, bei Schumanns „Das Paradies und die Peri“ – wenn auch, wegen der Umbauverzögerung, nur konzertant.
Wobei der Litauerin das Wort „nur“ hier gar nicht passt: „Das ist ja keine Oper!“, sagt sie im KURIER-Gespräch. „Es wäre eher ein Experiment gewesen, das Oratorium szenisch aufzuführen, als es eben auf der Konzertbühne zu spielen, wofür es eigentlich geschrieben ist.“
Šlekytė – Mitte 30 - ist Vertreterin einer jungen Dirigentengeneration, die eben auch eine Dirigentinnengeneration ist. Sie hat kürzlich ihr Debüt an der Wiener Staatsoper absolviert, ursprünglich in Graz beschlossen, dass „Dirigieren mein Beruf werden soll“, und prägende Jahre in Leipzig absolviert, wo Schumann auch „Das Paradies und die Peri“ komponierte. Dass Dirigentinnen immer noch ein ungewohntes Bild in der Klassik sind – geschenkt, darüber will sie nun wirklich nicht mehr reden.
Aber so ganz allgemein ist das schon ein außergewöhnlicher Job. Vor 100 professionellen Musikerinnen und Musikern zu stehen und denen zu sagen, was sie tun sollen - ist das nicht, in Ermangelung eines besseren Begriffs, irgendwie arg? „Da habe ich so viele Sachen zu tun, dass ich gar keine Zeit habe, darüber nachzudenken und mir zu sagen: Oh Gott, da sind 100 Leute“, sagt Šlekytė mit einem Lachen. Es sei undenkbar, dass all diese Menschen im Orchester, dazu noch die Sängerinnen und Sänger und der Chor „die gleichen Vorstellungen von den Tempi, vom Timing, vom Klang haben. Diese Balance gibt es einfach nicht – und da komme ich dann ins Spiel.“
„Das Paradies und die Peri“ sei, obwohl selten gespielt, ein Meisterwerk, betont die Dirigentin. Nikolaus Harnoncourt etwa habe es mehrfach aufgeführt. „Es ist ein Werk, das man unbedingt anhören sollte. Und es erzählt eine Geschichte, die man so vielleicht nicht kennt, angeregt von der persischen Mythologie – obwohl die Musik aus Schumanns Leipziger Zeit unverkennbare, absolute deutsche Romantik ist. Mit ihren Klängen wandert man durch die Welt, durch Indien, Ägypten und Nahost – eine wilde Mischung!“
Und die Art von Mischung, der heute auch gern kulturelle Aneignung oder der koloniale Blick Europas vorgeworfen würde, oder? „Ich weiß, das ist ein großes Thema“, sagt Šlekytė. „Man kann sich dafür entscheiden, gleich Beschuldigungen auszusprechen. Ich sehe zwischen den Gräueltaten des Kolonialismus und einen Komponisten in Leipzig des 19. Jahrhunderts, der von anderen Kulturen inspiriert wurde, dennoch einen großen Unterschied. Die Welt war eine völlig andere, man hatte noch nicht unbegrenzte Informationen wie heute. Wir sollten uns mehr dafür einsetzen, dass es in 2024 weniger Kolonialismus und Rassismus gibt. Kultur verbindet uns, und Neugier verbindet uns. Es ist doch eigentlich gut, dass man sich auch damals für andere Kulturen interessiert hat.“
Stimmt es, dass in Litauen rekordverdächtig viele Menschen in Chören singen? Ja, sagt sie, obwohl sie das erst gar nicht so richtig wahrgenommen hatte, da sie selbst aus keiner Musikerfamilie stammte. „Aber Amateurmusik ist wirklich wichtig! Es ist eine große Sache in Litauen – bei einem Festival singen da 12.000 Menschen miteinander.“ Auch sie selbst habe zuerst im Chor gesungen, die Chorleiterin habe ihre Eltern ermutigt, ihr eine musikalische Ausbildung zu ermöglichen.
Was aber braucht man, um es von dort an die Wiener Pulte zu schaffen – und auch international zu reüssieren? Es gibt viel Leistungsdruck, sagt Šlekytė, man brauche Perfektionismus. Man investiert viel, viel Zeit in die Vorbereitung für jedes Konzert, darf – und muss viel reisen. Für die Work-Life-Balance eher nicht ideal, oder? „Alles hat seinen Preis“, sagt die Dirigentin. „Man muss Kompromisse machen, und vielleicht einiges aufgeben. Bei dem Job, den ich habe, kann man nichts machen, für das man einen festen Wohnsitz braucht. Und wenn man darüber nachdenkt, ist das ganz schön viel. Das Reisen ist spannend – aber manchmal steht man nach einem Konzert in der Früh am Bahnhof, hungrig und ermüdet, und sucht seinen Zug.“
Und die Vorteile? Warum widmet man sein Leben der Musik? „Erstens: Ohne Musik kann ich es mir nicht vorstellen“, sagt sie. Eine musikalische Karriere sei „sehr unsicher. Aber selbst wenn sie enden sollte, würde ich weiter in Konzerte gehen. Anders ist es unmöglich, Musik ist so ein großer Teil meines Lebens. Und zweitens: Die Inspiration, die man von anderen Menschen bekommt, ist etwas Wunderbares, dieser Austausch auf einer anderen Ebene, die über das Verbale hinausgeht. Das inspiriert mich, weiterzumachen.“
Wenn sie dann am Pult steht – kann sie die Musik eigentlich selbst auch genießen? „Nicht jede Aufführung gleichermaßen“, sagt sie. Aber „Das Paradies und die Peri“ sei „so wohltuende Musik mit einer reizenden Botschaft. Diese Spielzeit mache ich überhaupt so viele schöne, wohltuende Werke“, sagt sie mit einem Lächeln.
Und ja, ohne zu viel zu verraten: Sie wird bald wieder in Wien zu erleben sein.
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