Dirigent Welser-Möst zum Neujahrskonzert: "Das ist immer eine Nervenschlacht“
Der österreichische Stardirigent über ein Neujahrskonzert mit vielen Novitäten, seinen Abschied als Chef aus Cleveland und die teilweise Abkehr von Wagner.
Wenn am 1. Jänner das traditionelle Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Goldenen Saal des Musikvereins über die Bühne geht, werden wohl selbst ausgewiesene Kenner der Strauß-Dynastie erstaunt sein. Gleich 14 der gespielten 15 Werke (die bekannten Zugaben ausgenommen) waren nämlich noch nie bei diesem Großereignis zu hören.
Wie es dazu kam? „Ich habe vor fünf Jahren aus Lust und Laune alles bestellt, was es von der Familie Strauß und von Joseph Lanner gibt“, so Dirigent Franz Welser-Möst im KURIER-Gespräch. Und weiter: „Dann kam die Pandemie, und ich hatte ausgiebig Zeit zu schmökern. Ich bin drauf gekommen, dass maximal ein Drittel dieser Werke bisher gespielt wurden, dabei sind das unglaubliche Schätze, die ich bei meinem dritten Neujahrskonzert (nach 2011 und 2013, Anm.) dem Publikum präsentieren möchte.“
Doch wie haben die Wiener Philharmoniker auf diese Flut von Novitäten reagiert? „Am Anfang gab es schon Diskussionen, aber bald war klar: Wir bieten dem Publikum gemeinsam eine Entdeckungsreise an, da ein Stück schöner ist als das andere. Aber es gab auch Schwierigkeiten. Bei einigen Werken mussten wir erst die Orchesterstimmen herstellen, aber da hat der Archivar der Philharmoniker großartige Arbeit geleistet.“
Erwartung
Doch ist Welser-Möst vor seinem dritten Auftritt zu Neujahr nervös oder wissen die Philharmoniker eh, wie es geht? „Nein, die wissen das auch nicht. Es ist zwar in ihrer DNA, aber mir haben die Musiker gesagt: Wir spielen so ein Programm nur einmal pro Jahr. Jede Mahler-Symphonie führen wir öfter auf. Und der Druck ist so groß. Man kann das auch als Dirigent nicht ganz ausschalten, dass da zig Millionen zuschauen. Die Erwartungshaltung ist riesig. Das ist für uns alle immer eine Nervenschlacht.“
Eineinhalb Jahre hat sich Welser-Möst auf dieses Ereignis vorbereitet. Denn: „Innerhalb von 9 Minuten Walzer haben Sie 100 Mal die Möglichkeit in den Gatsch zu greifen, um es flapsig zu formulieren. Noch schlimmer aber sind die Quadrillen.“ Lachend: „Daher haben wir nur eine auf dem Programm.“
Leichtigkeit
Welser-Möst weiter: „Es geht ja um diese scheinbare Leichtigkeit. Das ist wie am Theater. Komödien sind wegen des Timings viel schwerer als Tragödien. Das Timing in einer Komödie ist so entscheidend. Und das ist hier genauso. Wenn man etwa zu viel Rubato nimmt, wird es geschmacklos. Wenn zu wenig da ist, klingt es nicht. Das sind Entscheidungen von Sekunden.“
Eine Entscheidung hat der Künstler allerdings schon länger getroffen. „Ich werde mich 2027 als Chefdirigent des Cleveland Orchestra verabschieden. Uns geht es in Cleveland sehr gut. Natürlich gibt es wie fast überall Probleme, das Publikum zurückzuholen. Es ist noch nicht wie vor der Pandemie. Aber wir haben gut gewirtschaftet.“
Freude
Und: „Ich freue mich jetzt auf die verbleibenden viereinhalb Jahre und habe immer noch viele Ideen. Aber 2027 werde ich dann 25 Jahre Chefdirigent gewesen sein – ein Vierteljahrhundert. Und dann ist es gut, wenn ein Orchester nach so langer Zeit wieder frischen Wind hinein kriegt. Es lässt sich nie alles verwirklichen, aber wir haben einiges richtig gemacht. Doch man wird nicht jünger. Auch das Reisen wird mir immer lästiger. Ich werde daher am Höhepunkt aufhören. Etwas Schöneres gibt es nicht.“
Stichwort aufhören. Im Juni 2023 wird Welser-Möst zwei Serien von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper dirigieren. „Die zwei ,Ring’-Zyklen werden die Letzten sein. Das wird auch ein Abschied.“
Ring
Warum? „Ich kann das nur dirigieren, wenn ich merke, dass ich physisch diese langen Zeiträume bewältigen kann. Das powert schon unglaublich aus. Außerdem entferne ich mich immer mehr von Wagner. Richard Strauss wird mir dafür immer näher. Man hat eben so seine Phasen im Leben. Das heißt ja nur, dass man auch eine Entwicklung nimmt. Bei Wagner interessieren mich nur noch drei Stücke: ,Meistersinger’, weil, ich finde, die werden sehr oft missverstanden. Der ,Parsifal’ begleitet mich mein Leben lang und der ,Tristan’ auch.“
Humor
Dafür legt Welser-Möst in Zukunft den Fokus auf andere Werke. „Prokofjews ,Feuriger Engel’ interessiert mich sehr. Aber es gibt auch bei Strauss einige Sachen, die ich noch nie gemacht habe: ,Capriccio’ etwa oder ,Intermezzo’ und natürlich ,Die schweigsame Frau’. Wie leben in einer so humorlosen Zeit, da ist subtiler Humor ganz wichtig. Aber auch ,Boris Godunow’, vieles von Tschaikowsky oder Mozart kann ich mir vorstellen. Das ist eine Freiheit der Wahl, die ich wirklich genieße.“
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